Passives Abseits und Vorteil

  • Folgende Spielsituation kennt wohl jeder:


    Ein längerer Pass geht grob in die Richtung eines im Abseits stehenden Angreifers. Dieser ist der einzige Spieler, der den Ball erreichen könnte, ergo wäre es durchaus möglich, alleine deshalb auf Abseits zu entscheiden. Andererseits ist der Ball aber so weit von diesem Spieler entfernt, dass selbst sein Versuch, den Ball zu erreichen, keine realistische Chance hat und der Ball regelmäßig beim Torwart landet, was wiederum regeltechnisch dann nur noch mit weiterspielen zu lösen ist; dabei muss der Torwart dann aber naturgemäß das Spiel von viel weiter hinten "fortsetzen".


    Wäre es im Sinne des größtmöglichen Vorteils daher nicht geboten, grundätzlich auf Abseits zu entscheiden, wenn nur noch ein Spieler den Ball erreichen kann? Bisher tue ich das nur, wenn er auch eine realistische Chance hat, den Ball zu bekommen oder dies dennoch versucht, aber ich frage mich dabei stets, ob das eigentlich richtig ist ...

  • Wenn man argumentiert, dass der Spieler durch sein Nachlaufen seine Gegenspieler iritiert, dann ist das absolut richtig. Allerdings wurde ich von den Gespannsführern, bei denen ich bisher dabei war, immer angewiesen, erst die Fahne zu heben wenn er wirklich am Ball ist bzw. es kurz vor einem Zusammenprall zwischen TW und Stürmer steht, den man durch einen Pfiff verhindern könnte.


    Allgemein pfeift man beim Abseits nach dem Wait-and-See-Prinzip. Demnach sollte man eigentlich lange abwarten. So praktiziere ich es auch. Hat der Torwart die Chance den Ball in Ruhe aufzunehmen, dann lasse ich weiterlaufen. Auch wenn Zweifel bestehen, warte ich lange ab. Der Stürmer könnte ja noch abdrehen oder sonst was. Wenn man nicht unterbricht, zeugt das von guter Spielübersicht und einem Gefühl für das Spiel.

  • Für mich ist es der größere Vorteil, wenn der TW den Ball aufnehmen und abwerfen/abschlagen kann als wenn es kurz vor'm Strafraum einen indirekten Freistoss gibt. Also abwarten und ggfs. spät pfeifen.

    'Dann würden einigen Stammtischen die Themen ausgehen.' (Hoffenheims Verteidiger Christian Eichner über die Folgen einer Einführung des TV-Beweises)

  • Zitat von Manfred;166837

    ....Ein längerer Pass geht grob in die Richtung eines im Abseits stehenden Angreifers. Dieser ist der einzige Spieler, der den Ball erreichen könnte, ergo wäre es durchaus möglich, alleine deshalb auf Abseits zu entscheiden. Andererseits ist der Ball aber so weit von diesem Spieler entfernt, dass selbst sein Versuch, den Ball zu erreichen, keine realistische Chance hat und der Ball regelmäßig beim Torwart landet,....


    Ja was denn nun? Kann er den Ball noch erreichen oder nicht?


    Damit gibst Du Dir selbst die Antwort, lieber Manfred.


    Wenn er den Ball noch erreichen kann und sich in Richtung Ball bewegt- sofort auf Abseits entscheiden.
    Wenn er den Ball nicht mehr erreichen kann oder sich wegdreht/ abwinkt (er also auch nicht ins Spiel eingreift) - weiterspielen. Dann brauchst Du Dir um den "größtmöglichen Vorteil" für die verteidigende Mannschaft auch keine Gedanken mehr zu machen. Und was der größere Vorteil ist- ein idFs aus der Mitte der eigenen Hälfte oder ein aus der Hand abschlagender TW, der ggf. den Ball weiter und präziser spielen kann- noch dazu kann er direkt ein Tor erzielen...also was der größere Vorteil ist, ließe sich auch noch diskutieren.

  • Zur Klarstellung:


    Er kann den Ball nicht erreichen, weil der Abstand zu groß ist, er bemüht sich aber trotzdem darum. Und nach meiner Vorstellung reden wir durchaus von einer räumlichen Differenz von etwa 20 bis 30 Metern, so dass ich den Gedanken nicht so abwegig finde.


    Mir ist durchaus bewusst, dass ich entsprechend der gängigen Lehre entscheide, dennoch habe ich ab und an Zweifel, ob diese den "größtmöglichen Vorteil" für die gegnerische Mannschaft gewährt. :confused:

  • Ich sehe das so: die DFB Anweisung soll nur verhindern, dass es diese dummen Situationen vom Confed-CUP 2005 nicht mehr gibt und ein Angreifer unnötig einem Ball hinterherrennt.


    Strafbares Abseits besteht definitiv nur dann, wenn der Angreifer ins Spiel gemäß den Regeln "eingreift, beeinflusst, Vorteil bezieht". Und das macht er alleine durch das Hinterherlaufen noch nicht. Solange der TW oder irgend ein anderer Abwehrspieler den Ball erreichen, besteht kein Grund abzupfeifen. Selbst dann nicht, wenn der Ball zur Ecke oder ins eigene Tor geschossen wird.

  • Zitat von Manfred;166837


    Wäre es im Sinne des größtmöglichen Vorteils daher nicht geboten, grundätzlich auf Abseits zu entscheiden, wenn nur noch ein Spieler den Ball erreichen kann? Bisher tue ich das nur, wenn er auch eine realistische Chance hat, den Ball zu bekommen oder dies dennoch versucht, aber ich frage mich dabei stets, ob das eigentlich richtig ist ...



    Der größtmögliche Vorteil definiert sich aber in so einer Situation nicht durch den Ort des Balles, sondern dadurch, ob direkt ein Tor erzielt werden kann.


    Das ist bei einem iFS nicht möglich. Sehr wohl aber durch den TW. Egal, wie wahrscheinlich das ist.


    Davon ganz abgesehen ist der SR immer dazu angehalten, den Spielverlauf nach Möglichkeit nicht zu unterbrechen bzw. eine schnelle Spielfortsetzung zuzulassen. Wenn du auf Abseits entscheidest, ist das Spiel erstmal unterbrochen.

  • Ich finde die Frage interessanter, ob man bei aktivem Abseits auf Vorteil entscheiden kann oder sollte.


    Beispiel:


    Ein im Abseits stehender Angreifer köpft den Ball im Torraum a) über das Tor oder b) dem TW direkt in die Arme, der einen schnellen Konter einleiten könnte.


    a) Abstoß ist (theoretisch) besser als i.FS im Torraum (kein Abseits und direkter Torerfolg möglich) und bei b) würde der i.FS ein gute Konterchance unterbinden.

  • Wenn einer aus 5 metern am Tor vorbei köpft, ist es durchaus möglich, dass der Ball schneller aus dem Spiel ist, als der SR pfeifen kann.

    Gott sei Dank habt ihr Schiedsrichter, sonst müsstet ihr eure Fehler ja bei euch suchen !

  • Ich würde dabei vllt. auch an den Stürmer denken. Warum soll ich ihn rennen lassen, obwohl er den Ball sowieso nicht spielen darf? Dann kan ich doch sofort abpfeifen und der Spieler muss nicht umsonst laufen.

  • Das gibt das Spiel doch meistens von selber her, wenn ich sehe dass der Stürmer in Abseitspositon den Ball hinterherläuft, ihm somit nicht bewusst ist dass er ins Abseits rennt sehe ich dass und pfeife Abseits ab.


    Wenn ein langer Pass kommt, der Spieler bleibt stehen bzw. geht nicht klar richtung Ball lasse ich erstmal laufen also passiv.

  • Zitat von Mark;166864

    Ein im Abseits stehender Angreifer köpft den Ball im Torraum a) über das Tor oder b) dem TW direkt in die Arme, der einen schnellen Konter einleiten könnte.


    Ich sehe und handhabe das wie Du: Abstoß und Abschlag sind in meinen Augen gegenüber einem idF im eigenen Strafraum (und vielleicht bis 5m davor) vorteilhafter, eben wegen der möglichen direkten Torerzielung und beim Abstoß auch wegen des aufgehobenen Abseits. Weiter vorne halte ich aber den idF für vorteilhafter wegen der besseren Position.


    Man muss sich allerdings darauf einrichten, dass die Verteidiger das erklärt haben wollen/müssen.

  • Für mich stellt sich die Frage: Greift ein im Abseits stehender Angreifer in das Spielgeschehen ein ,wenn er einen Verteidiger zum Nachteil dessen an sich bindet und somit räume öffnet?




    Lieben Gruß



    Henzon

  • Kann ich mir nicht vorstellen (ergo nein), denn wenn der Angreifer niemanden aktiv behindert, sondern einfach nur rumläuft und der VT hinter ihm herrennt, dann ist der VT selber Schuld, denn er muss ja nicht bei einem im Abseits stehenden Angreifer rumlaufen bzw. ihn bewachen.
    PS: Ich gehe jetzt mal davon aus, dass das bloße Rumlaufen (natürlich nicht im Sichtfeld eines TWs) nicht als Behinderung gesehen wird.

  • Zitat

    Für mich stellt sich die Frage: Greift ein im Abseits stehender Angreifer in das Spielgeschehen ein ,wenn er einen Verteidiger zum Nachteil dessen an sich bindet und somit räume öffnet?


    Definitiv nein, es sei denn "dass der Spieler einen Gegenspieler daran hindert, den Ball zu spielen oder spielen zu können, indem er eindeutig die Sicht des Gegners versperrt oder Bewegungen oder Gesten macht, die den Gegner nach Ansicht des Schiedsrichters behindern, täuschen oder ablenken"


    Allein die Tatsache, dass ein Verteidiger ihm nachrennt und dadurch Raum für nicht im Abseits stehende Angreifer schafft, ist kein "Eingreifen" und somit keine strafbare Abseitsstellung. Pech oder "Dummheit" vom Verteidiger.:D



    Zitat

    Wäre es im Sinne des größtmöglichen Vorteils daher nicht geboten, grundätzlich auf Abseits zu entscheiden, wenn nur noch ein Spieler den Ball erreichen kann? Bisher tue ich das nur, wenn er auch eine realistische Chance hat, den Ball zu bekommen oder dies dennoch versucht, aber ich frage mich dabei stets, ob das eigentlich richtig ist ...


    Die DFB-Anweisung fordert den Pfiff m.E. nur, wenn der Ball ausschließlich von dem im Abseits stehenden Spieler erreicht werden kann. Weiter "Besteht jedoch ein Zweifel, ob der Ball wirklich zu dem abseits stehenden Spieler gelangt,...so muss mit der Abseitsentscheidung so lange gewartet werden, bis klar erkennbar ist, welcher Spieler den Ball spielt." Zweifel bestehen m.E. auch dann, wenn noch ein Abwehrspieler den Ball erreichen kann.


    Das heißt, dass solange noch ein Abwehrspieler die gleiche oder bessere Chance hat den Ball zu spielen und dies auch versucht, sowie die Möglichkeit besteht, dass der Ball vorher ins Aus geht, darf man gar nicht abpfeifen, weil: Es liegt kein strafbares Abseits vor!


    Daher die Antwort: Ja, wenn ausschließlich dieser eine Spieler den Ball mit hoher Sicherheit erreichen wird. Das hat nichts mit dem "Sinn des größtmöglichen Vorteils" zu tun, sondern soll verhindern, dass unnötige Zeit vergeudet wird bis der Spieler endlich den Ball berührt.

  • M.E. bezieht sich die DFB-Anweisung auf Mitspieler des Abseits stehenden Spielers. Bei "wait and see" geht es nicht in erster Linie um Vorteil, sondern darum, ob überhaupt strafbares Abseits vorliegt.


    Ich kann mich an ein Lehrvideo erinnern, bei dem sogar der Verteidiger zuerst den Ball erreicht und sodann vom abseits stehenden Spieler in einen Zweikampf verwickelt wird. Auch das soll dann noch Abseits sein. Ebenso kann ich mich an ein Lehrvideo erinnern, wo der Ball ins Aus geht, bevor der abseits stehende Spieler ihn erreichen kann (nicht mal knapp) - auch dort ist auf Abseits zu entscheiden gewesen, weil kein anderer Angreifer zum Ball gegangen ist und Einwurf ggü. idF kein Vorteil ist.


    Als Faustregel für aktiv/passiv habe ich mir gemerkt: Eingriff ins Spiel ist nur, wenn der schuldige Spieler um den Ball kämpft. Ausnahme: Sichtbehinderung des Torwarts.
    Das mag nicht hundertprozentig theoretisch exakt sein, aber als praktische Faustregel für die Betonligen vermutlich ausreichend.

  • @ dennosius


    Diese Beispiel sind mir teilweise bekannt, sie widersprechen aber leider dem Sinn der Abseitsregel. Im ersten Beispiel kann man den unmittelbar folgenden Zweikampf sicherlich als „Aus seiner Position einen Vorteil ziehen“ interpretieren.


    Den fälligen Einwurf (dein zweites Bsp.) abzupfeifen halte ich definitiv für die falsche Auslegung. Hier ein ähnliches Beispiel, dass diese DFB-Anweisung als absurd darstellt:


    Ein geschossener Ball fliegt Richtung Tor. Auf oder unmittelbar vor der Torlinie steht ein Angreifer in Abseitsposition und könnte als einziger Spieler den Ball noch erreichen. Er berührt den Ball allerdings nicht, weil er ihm a) ausweicht oder b)er beim Versuch ihn zu spielen nicht trifft, sodass der Ball direkt im Tor landet.


    Gemäß der DFB-Auslegung müsste man nun auf Abseits entscheiden?

  • Wenn er ausweicht, ist das sicherlich kein Abseits.


    Beim versuchten Ballspielen besteht der Unterschied wohl darin, dass im Einwurf-Beispiel der Angreifer noch einen Verteidiger bindet (was ich nicht erwähnt hatte, sorry).


    Kombinieren wir mal beide Beispiele: Steilpass in den Strafraum, Angreifer steht abseits, hechtet dem Ball hinterher, verfolgt von einem Verteidiger, der aber auch den Ball nicht erreicht. Der Torwart rutscht aus, der Ball geht ohne weitere Berührung ins Tor. Das ist dann m.E. Abseits und kein reguläres Tor.


    Das mag nicht völlig gerecht klingen. Aber man muss ja auch berücksichtigen, wo wir bei der Abseitsregel herkommen: Früher war jede Abseitsstellung strafbar. Das sollte mit der Regeländerung gelockert, aber m.E. nicht gleich völlig auf den Kopf gestellt werden (bzw. hatte man das beim CofedCup damals versucht und hat es wieder sein gelassen).

  • Gefühlsmäßig bin ich Deiner Meinung, leider ist die herrschende Lehre aber der Auffassung, dass hier auf Tor zu entscheiden wäre. Faktisch liegt ein Eingriff in das Spiel nur vor, wenn der Spieler den Ball berührt oder einem Gegenspieler die Sicht verdeckt, die reine "Bindung" des Abwehrspielers ist dabei für die Strafbarkeit der Abseitsstellung irrelevant.


    Die einzige Handhabe, um in dem von Dir geschilderten Fall auf Abseits entscheiden zu können, wäre es, wenn der Angreifer zugleich der einzige Spieler ist, der den Ball erreichen konnte. Durch sein nachlaufen versucht er dies, so dass ein Abseitspfiff vertretbar, wenn auch sicher nicht glücklich wäre, da auch hier ein "wait and see" die bessere Lösung wäre.