Stadionstreit wird nun vor BGH verhandelt

  • Es kracht zwischen den Fans auf der einen und dem DFB, dessen Vereine und der Polizei auf der anderen Seite. Fan-Initiativen beklagen sich über die Stadionverbote und vermuten unzulässige Willkür, wenn Stadionverbote "auf Verdacht" ausgesprochen werden. Nun landet der Fall vor dem BGH. Ein Bayern München-Fan, der zu der Ulta-Gurppe "Schickeria" gehört, klagt nun vor dem Gericht. Der Fan soll 2006 sich nach einem Spiel von MSV Duisburg - Bayern München an einer Schlägerei beteiligt haben. Es gab 60 Festnahmen. Der Fan beteuert bis heute, dass er sich nicht daran beteiligt habe. Die Staatsanwaltschaft hat ein Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingestellt. Jedoch wurde ein Stadionverbot seitens des MSV Duisburg ausgesprochen und zwar bei allen, gegen die ermittelt wurde. Er gehört dazu, klagt nun deswegen. Morgen wird das Grundsatzurteil verkündet. (dpa)

  • Zitat

    Jedoch wurde ein Stadionverbot seitens des MSV Duisburg ausgesprochen und zwar bei allen, gegen die ermittelt wurde.


    Ich bin nicht betroffen, aber so etwas löst einen bitteren Beigeschmack aus. Wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellt, heißt das i. d. R. das dem entsprechenden nicht nachzuweisen ist. Und trotzdem Stadionverbot?

  • Hm, Sachen gibts. Anscheindend wollte sich der MSV nur präventiv absichern und hat dabei wohl ein wenig über das Ziel hinausgeschossen. Ich bin mal auf die Entscheidung des BGH gespannt.

  • Hier übrigens der Link zur Pressemitteilung des BGH:


    Klick


    Demnach "können Stadionverbote eine nennenswerte präventive Wirkung nur dann erzielen, wenn sie auch gegen solche Besucher ausgesprochen werden, die zwar nicht wegen einer Straftat verurteilt sind, deren bisheriges Verhalten aber besorgen lässt, dass sie bei künftigen Spielen sicherheitsrelevante Störungen verursachen werden."


    Dies sah man hier als gegeben an, da das Ermittlungsverfahren gegen den Kläger nicht eingestellt wurde aufgrund, dass nicht genügend Anlass zur Erhebung einer Klage bestand, sondern, weil die Schuld des Täters als für eine Klage zu gering angesehen wurde.


    "Anknüpfungspunkt für das Stadionverbot ist nicht die Verwirklichung eines Straftatbestandes, sondern das Verhalten des Klägers, das Anlass für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegeben hat. Die Umstände, die dazu geführt haben, haben auch nach Einstellung des Verfahrens weiterhin Bedeutung. Der Kläger ist nicht zufällig in die Gruppe, aus der heraus Gewalttaten verübt worden sind, geraten, sondern war Teil dieser Gruppe. Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußballveranstaltungen in einem zu Gewalttätigkeiten neigenden Umfeld bewegt und von ihm deshalb künftige, Dritte gefährdende Störungen zu besorgen sind."

  • Leute, auch hier gilt: Ball flachhalten.


    Nach meinen Informationen wurde das Ermittlungsverfahren seinerzeit wegen geringer Schuld eingestellt und nicht, weil der Betroffene erwiesenermaßen unbeteiligt war oder man ihm die Beteiligung nicht nachweisen konnte.


    Außerdem - und das hat der BGH betont - steht jedem Verein das Hausrecht zu. Auch wenn es nicht üblich ist, so kann beispielsweise jeder Geschäftsinhaber einen Verkauf verweigern (solange er kein echtes oder faktisches Monopol hat und die Weigerung nicht auf sachfremden Motiven (das AGG lässt grüßen) beruht) - und ebenso kann jeder Verein einen Zuschauer nicht zulassen, bloß weil die Nase nicht passt. Bei Discotheken ist das anerkannt, im Stadion ist das nicht anders ...



    Tante Edit sagt: Arbiter war schneller, aber wir ergänzen uns.

  • Noch ist das Urteil nicht entgültig... Denn der Kläger will sich nun überlegen, ob er Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVG) einlegen wird. Die Anwälte raten dazu.

  • Klar raten seine Anwälte dazu - bringt schließlich Geld in ihre Kasse. Müssten Sie das Prozessrisiko tragen, wäre ich mir nicht sicher, ob der Ratschlag Bestand hätte. M.E. tendieren die Erfolgsaussichten gegen Null.

  • Ich bin durchaus dafür, gewaltbereite "Fans" mit Stadionverboten zu belegen.
    M.E. berücksichtigen aber die Praxis und das BGH-Urteil 2 Probleme nicht genügend:


    1. Sobald ein Bundesligaverein einen "Fan" für verdächtig hält, ohne dies beweisen zu können (!), kann er ihn mit Stadionverbot belegen, so wie ich für mein Wohngrundstück ein Haus- und Hofverbot aussprechen kann, so weit so gut. Das Besondere und somit ggf. Fatale ist aber, dass beim Stadionverbot dieses dann bundesweit für alle Stadien gilt. D.h. wer einmal ggf. zu Unrecht in Verdacht gerät, kann auf Jahre hinaus keinen (höherklassigen) Fußball mehr live im Stadion sehen, dass ist für wirkliche Fans eine echte Härte.


    2. Erst kürzlich hatten wir hier im Forum den Fall, dass ein User glaubhaft schilderte, dass er in Stadionnähe in Polizei-Gewahrsam genommen wurde, obwohl er sich völlig unbeteiligt nur in relativer Nähe zu auffälligen Fans aufhielt. Dies ist ein Musterbeispiel, wie man evtl. völlig zu Unrecht ein Stadionverbot erhalten kann, nur weil man zur falschen Zeit am falschen Ort war.

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

  • Zu Frage 1:
    Die wirklich interessante Frage ist, wie es sich mit der Zulässigkeit eines bundesweiten Stadionverbotes verhält. M.E. darf jeder Verein ein Verbot nur für seine Sportstätte aussprechen - und ich gehe davon aus, dass dies auch hier geschehen ist. Offenkundig gibt es aber eine Übereinkunft (zwischen wem auch immer), dass die anderen BL-Vereine dieses Verbot gleichfalls anwenden. Grundsätzlich erscheint mir auch das zulässig, denn wer als gewaltbereit eingestuft wird, wird diese Bereitschaft nicht auf ein Stadion beschränken. Spannender wäre hier die Frage, wie die anderen Vereine "Wind" von dem Stadionverbot bekommen - das ist mehr ein datenschutzrechtliches Problem.


    Zu Frage 2:
    Der BGH stellt in seiner Begründung ausdrücklich darauf ab, dass der Kläger Mitglied dieser Gruppe war/ist und sich von daher nicht nur zufällig in deren Reihen befand. Und an diesem Punkt unterscheidet sich der Fall grundlegend, so dass bei einem rein zufälligen Aufenthalt in einer solchen Gruppe der Prozess wohl anders ausgegangen wäre; spannend bleibt, wer da was beweisen müsste.

  • Die Daten zu den Stadionverboten werden von DFB und DFL verwaltet und gespeichert. Die DFB-Richtlinien für Stadionverbote kann man hier nachlesen:
    http://www.bundesliga.de/media…rbotsrichtlinien_0104.pdf


    Das bundesweite Stadionverbot funktioniert dadurch, dass sich die Vereine und der DFB vor jeder Saison gegenseitige Vollmachten erteilen:

    Zitat

    Das Stadionverbot kann auch für den Bereich anderer Platz- oder Hallenanlagen festgesetzt werden (überörtliches, sog. bundesweites Stadionverbot - § 4 Abs. 3, 4 und 5). Die Vereine und der DFB bevollmächtigen sich hierzu durch eine gesonderte Erklärung (Muster gemäß Anlage) gegenseitig.


    Für bedenklich halte ich, dass für ein bundesweites Stadionverbot bereits ausreicht, dass der Verdacht besteht, dass die Person Taten begehen "wollte":

    Zitat

    Ein überörtliches Stadionverbot soll ferner ausgesprochen werden, ohne dass ein Ermittlungs- oder sonstiges Verfahren eingeleitet wurde,
    16. bei Ingewahrsamnahmen oder schriftlich belegten Platzverweisen,
    wenn hinreichende Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen,
    dass die Person Taten gemäß § 4 Abs. 3 begangen hat oder begehen
    wollte


    "Hinreichende" Tatsachen sind in der Praxis garantiert, dass ein Polizeibeamter oder Ordner bezeugt, dass nach seinem Eindruck die Person Taten begehen wollte. Es ist aber m.E. höchst zweifelhaft, ob man bei den Menschenmassen vor und in Bundesligastadien die Absichten eines individuellen Fans in der Masse mit ausreichender Sicherheit einschätzen kann.

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

  • Stadionverbot kann gegen jeden ausgesprochen werden. Man muss deswegen nichts schlimmes getan haben. Es gibt jemanden, der Hausrecht hat und wenn der dich nicht mag, kommst du nicht rein. Punkt.



    Da muss man sich nicht drüber aufregen, ich muss doch auch nicht jeden in mein Haus lassen, nur weil hier eine Party steigt.

  • Genau das stellt der BGH in seiner Pressemitteilung jedoch anders da. Denn es führt aus, dass das Hausrecht bei Fußballspielen gewissen Einschränkungen unterliegt.


    Demnach wirkt das Grundgesetz hier mittelbar mit ein, sodass es aufgrund der Gleichbehandlung nicht zulässig sei, einzelne Zuschauer willkürlich auszuschließen.

  • Zitat von Lars;115402


    Da muss man sich nicht drüber aufregen, ich muss doch auch nicht jeden in mein Haus lassen, nur weil hier eine Party steigt.


    Der entscheidende Unterschied ist aber, dass Du nicht die Möglichkeit hast, Hausverbote für alle Häuser in der Straße, in der Du wohnst, zu erteilen.
    Die Bundesligavereine haben aber eine ähnliche weitreichende Macht.

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

  • Jetzt geht es noch weiter. Nun legt sich der DFB mit der Polizeigewerkschaft (DPolG) an. Deren Aussage sieht der DFB als "geistige Brandstiftung" an. Der DFB und die DFL reagieren auf die Aussage der Gewerkschaft, wonach sich jeder Fußball-Fan beim Besuch ins Stadion in Lebensgefahr begebe. (DFB)

  • Da kann ich dem DFB nur zustimmen, auf so einem Niveau sollte man sich seine Aussagen mal überlegen. Ganz abgesehen davon ist wahrscheinlich kein Platz auf der Welt sicher, weder im Stadion noch sonst wo.


    Aber mal zu dem flächendeckenden Hausverbot:
    Wenn in meinem Haus eine Party steigt und einer macht Randale, fliegt er raus. Dann kann ich natürlich entweder zuschauen, wie er das auch bei anderen macht - oder ich denke daran, dass wir eigentlich Menschen sind, die nur etwas Spaß haben wollen, ohne dass uns das einer kaputtmacht und sage meinen Freunden, die in derselben Liga spielen und dieselben Interessen haben, Bescheid, sodass die denjenigen auch ausschließen. Letztendlich ist uns allen damit gedient, aber die Macht wird ja nicht mir übertragen, sondern ist ein gemeinsamer Beschluss, den jeder für sich entweder mittragen oder verwerfen kann.
    Lediglich der DFB steht noch darüber, aber da er der Dachverband ist und somit verwantwortlich für alle diese Veranstaltungen, muss er auch das Recht haben, gewisse Personen komplett auszuschließen. So wie auch der Discobetreiber mit 36 Discos in der Stadt gewissen Leuten verbieten kann, in jede einzelne dieser Schuppen zu gehen ;)

    Nur noch fünf Sekunden, nur noch die wenigen Stufen zum Spielfeld hinunter, und dann bleibst du allein, inmitten Tausender von Menschen...


    Pierluigi Collina

  • Zitat von almiko;115395


    2. Erst kürzlich hatten wir hier im Forum den Fall, dass ein User glaubhaft schilderte, dass er in Stadionnähe in Polizei-Gewahrsam genommen wurde, obwohl er sich völlig unbeteiligt nur in relativer Nähe zu auffälligen Fans aufhielt. Dies ist ein Musterbeispiel, wie man evtl. völlig zu Unrecht ein Stadionverbot erhalten kann, nur weil man zur falschen Zeit am falschen Ort war.




    Und genau durch das heutige Urteil des BGH könnte meine Sache neu aufgerollt werden. Zwei Freunde von mir, die den ganzen Tag rechts und links von mir liefen, haben bereits 3 Jahre SV auf Verdacht bekommen - ohne Anhörung, ohne Urteil.


    Und das kann es ja wohl nicht sein. Denn an diesem Beispiel lässt sich belegen, dass auch die Polizei mal Fehler macht. Und unter diesen Fehlern sollte ja wohl kein Unschuldiger leiden, oder?

  • Zitat von DerDamian;115483

    Und unter diesen Fehlern sollte ja wohl kein Unschuldiger leiden, oder?


    Meiner Meinung nach schon. Wenn ich durch 1000 Stadionverbote 997 Chaoten draußen halten kann und es allerdings auch 3 trifft, die "nur daneben gestanden" haben finde ich das in Ordnung.

  • Ich hoffe zwar für alle, das sie nie in meine (bzw. in die meiner Freunde) Situation kommen.


    Aber vielleicht würdest du, Sven, nach einer solchen Situation dein Denken überarbeiten.



    Da hat man wirklich absolut nichts gemacht und soll trotzdem bestraft werden? Das könnte ich mit meinem Gewissen nicht vereinbaren.