Regel 12: ergänzende Auslegung zur Reduzierung der persönlichen Strafe

  • Auf schiedsrichter-lernen.org gibt es eine Schulung zu den Regelanpassungen in der Saisan 23/24. Dort geht es an einer Stelle um die Reduzierung der persönlichen Strafe bei einer Verhinderung einer klaren Torchance. Dort geht es um die Anwendung dieser Regelung bei einem ballorientierten Vergehen im Strafraum. Es wird Bezug genommen auf die Erweiterung der Begründung zur Reduzierung der Strafe, wo steht ".... dem Versuch den Ball zu spielen ..." durch "... oder bei einem Zweikampf um den Ball".


    Dann wird erklärt, dass diese Ergänzung etwas umfassender ist als die erste Formulierung und diese eigentlich nur noch die Fälle ausschliesst, in denen es ein Halten, Ziehen oder Stoßen gibt, ohne die Chance den Ball zu spielen.


    Mir geht es nun konkret um das Beispielvideo. Dort wird ein Angreifer im Strafraum von dem Verteiger zu Sturz gebracht. Es soll ein Beispiel sein, wo es um ein ballorientiertes Vergehen geht. Die Erklärung ist, da die Aktion des Verteidigers immer noch im Zweikampf um den Ball erfolgt, wird die persönliche Strafe bei Notbremse auf Gelb reduziert.


    Also es ist schon mal klar, dass das als Notbremse gesehen wird - darüber müssen wir nicht diskutieren.


    Wenn ich mir diese Szene aber genau anschaue, dann sehe ich da beim besten Willen keine Ballorientierung: Der Verteiger läuft hinter dem Angreifer und bringt ihn zu Fall, ohne zu versuchen, den Ball zu spielen. D.h. er rennt ihn quasi von hinten um. Ich würde das als einen Stoß werten (muss ja nicht zwangsläufig mit der Hand passieren, aus meiner Sicht). Es geht noch nicht mal sein Fuss in Richtung Ball. Ist das dann noch eine Ballorientierung? Er hat in dieser Position auch gar keine Chance, den Ball zu spielen. Ihm geht es nur um die Vereitelung der klaren Torchance. Ich bin da sehr irritiert mit dieser Regelauslegung. Wie seht ihr das?

  • Ich vermute, dass es sich um das bekannte Schulungsvideo zu den Regeländerungen handelt, zu finden z.B. hier ab 2:43.

    In einer Aktion prallten Grevelhörster und Gerick zusammen. Der FC-Stürmer blutete aus der Nase, aber Schiedsrichter Stefan Tendyck aus Gelsenkirchen konnte mit einem Taschentuch aushelfen. Gericks Torriecher wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen: Er markierte das 1:3.


    Westfalen-Blatt (29.5.2017) :D

  • Hier sehe ich gerade keine Reduzierung: Der Spieler kommt von hinten - mithin schon mal faktische Unmöglichkeit, eine Ballkontrolle regelkonform zu erreichen -, greift mit den Händen nach dem Spieler, rempelt ihn mit dem Oberkörper (das ist sogar mit viel Großzügigkeit noch als legal ansehbar) und trifft ihn dann hinten im Knie ... wo soll da ein Zweikampf um den Ball sein?

  • Naja, die gesamte Aktion des Verteidigers ist doch schon Richtung Ball ausgerichtet. Insbesondere geht die Beinbewegung, die zum entscheidenden Kontakt führt, Richtung Ball. Und das Greifen mit den Händen ist meines Erachtens so minimal, dass es kein Foul darstellt.

    Zumindest ist es hier nicht die klare Absicht des Verteidigers nur den Gegenspieler zu stoppen.


    Ich gebe euch Recht, dass dies kein besonders klares Beispiel ist.

    Aber andererseits zeigt es doch, wenn der DFB schon hierfür die Reduzierung will, dass dann alles, was klarer ballorientiert ist, auch eindeutig zur Reduzierung führen soll.


    Und das Totschlagargument: Eigentlich müssen wir bei der Szene auch nicht groß diskutieren, was richtig wäre, weil es ja eine klare DFB-Aussage dazu gibt. Insofern sollten sich alle SR (vorausgesetzt, ihnen wurde das Video irgendwo gezeigt) auch danach richten und solche Szenen entsprechend bewerten.

    Wir können nur darüber reden, inwiefern diese mit dem Regeltext zusammenpasst.

  • Natürlich gibt es hier die Aussage des DFB - nur vermag die eben nicht zu überzeugen, denn wenn ich von hinten komme, sind meine Chancen, den Ball regelkonform zu spielen, faktisch inexistent, daraus eine Ballorientierung abzuleiten, ist m.E. eine klare Überdehnung; mit derselben Argumentation könnte man nahezu alle Fouls mit dem Fuß als ballorientiert einstufen ...

  • Manfred, das ist auch meine Sicht. Um was geht es denn im Fußball? Um den Kampf um den Ball u d um Tore schießen. Nach dieser Regelauslegung kann man zukünftig doch bei jeder Notbremse die Reduzierung machen, außer es wurde gehalten, gezogen oder gestoßen. Aber ist ein Stoß dann so zu interpretieren, dass es immer ausschließlich ein Vergehen mit der Hand bzw. Arm ist (man kann z.B. doch auch mit der Hüfte einen Stoß versetzen)?


    D.h. dann ja aber auch, wenn ein Abwehrspieler hinter dem ballführenden Angreifer den Ball durch die Beine oder schräg von hinten andeutungsweise zu spielen versucht, de facto aber keine Chance hat den Ball zu erreichen und zwangsläufig den Angreifer von den Füßen holt (wenn es offensichtlich ist, dass er den Gegner nur vom Torschuß abhalten möchte - wie auch in der gezeigten Szene zu sehen ist), dann findet auch eine Reduzierung der Strafe statt. Das passt doch nicht?!


    Also ich bin gut verunsichert mit dieser Sichtweise...

  • Wir können nur darüber reden, inwiefern diese mit dem Regeltext zusammenpasst.

    Womit wir meiner Meinung nach eine weitere Regel haben, bei der de Regeltext scheinbar vollkommen egal ist. Bzw es wird alles so weit gedehnt, dass beides nicht mehr zusammen passt.

    Beim Handspiel genauso. Ich verstehe nicht mehr was da soll, dann muss man halt bei IFAB eine Regeländerung anfragen. Oder man macht sich direkt eigene Regeln und spielt nicht mehr nach IFAB Regeln.


    Gerade das gezeigte Beispiel wäre mich für mich ein Paradebeispiel für etwas nicht ballorientiertes. Der Verteidiger versucht hier doch gar nicht mit dem Bein zum Ball zu kommen.. der läuft mit dem Knie dem Stürmer einfach nur von hinten in die Beine.

    Bin kein Schiedsrichter, nur ein Spieler Trainer (wieder) Spieler Irgendjemand der sich für die Regeln seines Sports interessiert

  • mit derselben Argumentation könnte man nahezu alle Fouls mit dem Fuß als ballorientiert einstufen ...

    Ja, ich denke, das ist so gewollt. Man könnte sogar sagen, dass das selbst mit der letztjährigen Regel so war.

    Aber ist ein Stoß dann so zu interpretieren, dass es immer ausschließlich ein Vergehen mit der Hand bzw. Arm ist (man kann z.B. doch auch mit der Hüfte einen Stoß versetzen)?

    Das wäre zumindest mein Verständnis von "Stoßen". Mit der Hüfte handelt es sich dann um "Rempeln". Macht aber regeltechnisch eigentlich keinen Unterschied. Nur ist es bei einem Hüftrempeln im Allgemeinen wahrscheinlicher, dass dies im Kampf um den Ball passiert als bei einem Stoßen mit dem Arm.


    Also insgesamt ist es nach meinem Verständnis so, dass es die Rote Karte nur noch geben soll, wenn es die klare Absicht des Verteidigers ist, seinen Gegner aufzuhalten - und nicht den Ball zu erobern.

    Vielleicht kann man als Faustregel sagen: Wenn der Verteidiger unmittelbar nach dem Foul in Ballbesitz gelangen könnte, soll es kein Rot geben.



    Hier noch ein aktuelles Beispiel, wo es natürlich weiterhin Rot geben soll.

  • wenn es die klare Absicht des Verteidigers ist, seinen Gegner aufzuhalten

    Du meinst wie in dem gezeigte DFB Video :totlach:

    Bin kein Schiedsrichter, nur ein Spieler Trainer (wieder) Spieler Irgendjemand der sich für die Regeln seines Sports interessiert

  • "Klar" im Sinne von "Jeder Betrachter der Szene hat diese Meinung, nicht nur ich selbst"...

    Und offensichtlich ist zumindest Lutz Wagner der Meinung, dass es hier um den Ball geht - kann also nicht so klar sein.


    Aber OK, wenn ein SR zu der Einschätzung kommt, dass es klar nur gegen den Gegner gibt, muss er natürlich als Konsequenz Rot zeigen, da bin ich ja einverstanden.

  • Ich fand die Szene auch sehr unglücklich, wir haben am Lehrabend das DFB Video gezeigt und dann auf die Kommentierung von Lutz verwiesen. Er wird bei uns in der Pflichsitzung am 13.11. einen Vortrag halten, sicherlich werden wir auch auf die neuen Regelinterpretationen (ballorientiertes Vergehen, Handspiel, Abseits) zu sprechen kommen.


    Letztendlich sind wir hier wieder im Graubereich, Sonntags in der Kreisliga A hast Du genau eine Wahrnehmung, musst dann eine Entscheidung treffen und die dann richtig verargumentieren können, um die Spieler und Offiziellen davon zu überzeugen.