Seit ich in den untersten Amateurklassen des SHFV als SR aktiv bin, bemühe ich mich, die Regeln zu kennen. Dabei bin ich vom allerersten Tag meines Schiedsrichter-Daseins an Grenzen gestoßen (um nicht zu sagen gescheitert) und tue dies heute noch. Immer wieder gibt es Anweisungen und Auslegungen, die mir nicht bekannt sind oder die ich komplett anders interpretiert hätte. Auch bei den Antworten der Regelfragen in der SR-Zeitung finde ich jedes Jahr Antworten, die ich nicht erwartet hätte und bei denen ich komplett anders argumentiert hätte (mit dem aktuellen Regelheft unter dem Arm).
Meine ersten Grenzen fand ich 2009 im Anwärterlehrgang. Auch auf wiederholtes Nachfragen hin konnte mir kein SR-Ausschuss-Mitglied die damals gelehrte Regel schriftlich zeigen, nach der bei einem Vergehen gegen einen Gegner im eigenen Strafraum, bei dem eine offensichtliche Torchance vereitelt wird und der Schiedsrichter einen Strafstoß gibt, beim Torhüter auf den FAD verzichtet werden kann. Im DFB-Bereich galt das zu der Zeit für jegliche Vergehen, bei dem der Torhüter versuchte, den Ball zu spielen. In unserem Kreis wurde noch die Sonderlocke gelehrt, dass ausschließlich Versuche des Torwartes, den Ball mit der Hand zu spielen, zu einem Verzicht des FAD führen konnte.
Mittlerweile weiß ich auch, warum es da nichts Schriftliches gab- aber das ist eine andere Geschichte.
Das nächste Chaos erlebte ich wenige Wochen später, als ich- mittlerweile geprüfter SR-Anwärter- versuchte, für unser vereinseigenes Hallenturnier die Hallenfußballregeln zu recherchieren. Was mir da für Stilblüten begegneten- herrlich. Alles hier im Forum nachzulesen. Mittlerweile kennt keiner mehr die Hallenfußballregeln, da diese fröhlich mit Futsalregeln gemischt werden- teilweise auch während laufender Wettbewerbe/Turniere- alles schon erlebt. Da der Futsal mittlerweile auch abgeschwächt wird (Spiel mit 1 SR, Einsatz der 2-Min Zeitstrafe da das Kumulieren der Fouls mit 1 SR ohne geschultes Kampfgericht oft zu Unstimmigkeiten führt) haben wir heute den gleichen Mischmasch wie früher zu reinen Hallenfußballzeiten.
Stand der Dinge heute ist der: Die Internet-Welt hat sich weiterentwickelt; mittlerweile findet man die Durchführungsbestimmungen für nahezu alle Wettbewerbe auf den jeweiligen Verbands-Webseiten. Bekomme ich heute eine Ansetzung für einen für mich exotischen Wettbewerb (z.B. Futsal, Frauen oder D-Junioren Verbandsliga) oder ein Pokalspiel, so recherchiere ich jedes Mal aufs neue wie folgt:
Suche nach den entsprechenden Ausnahmen/Sonderregelungen für Futsal/Frauen/Jugend in der SHFV-Satzung (diese ändert sich 3-6 Mal im Jahr- also Achtung- stets die aktuelle Version frisch herunterladen).
Recherchieren und Überfliegen der jeweilig gültigen Durchführungsbestimmungen (auch hier empfiehlt es sich, die DF nicht von der eigenen Festplatte zu verwenden sondern nach aktualisierten DF auf der Verbandsseite zu schauen- auch die DF ändern sich manchmal während einer laufenden Spielzeit).
Ich gebe zu- ich mache das nicht vor jedem Spiel. In der B-Junioren Kreisliga zum Beispiel fahre ich zur neuen Saison auch mal unvorbereitet zum Spiel- solange ich die Auswechselbstimmungen kenne kann ich das Spiel auch ohne "Komplettrecherche" leiten. Alles andere kläre ich zur Not vor Ort.
Dinge wie "welche Mannschaft ist bei der Spielkleidung ausweichpflichtig" oder "wann muss der eSB von den Vereinen vor Spielbeginn freigegeben werden" versuche ich mir gar nicht erst zu merken- da hat gefühlt jeder Wettbewerb seine eigenen Regularien und diese ändern sich gern noch von Jahr zu Jahr. In meinen "Stammspielklassen" weiß ich wie die Regularien sind. In anderen Spielklassen (siehe oben) nehme ich einen kleinen Spickzettel mit zu meiner Spielnotizkarte oder ich recherchiere die benötigten Informationen vor Ort in der SR-Kabine, sollte es einer verbindlichen Klärung durch mich bedürfen.
Seit ich für eine Juniorinnen-Mannschaft verantwortlich bin, sehe ich die Dinge auch von der Trainer/Betreuer-Seite. Für unseren laufenden Wettbewerb gab es zusätzlich zu den DFB-Regeln, den Festlegungen in der SHFV-Satzung und den DF noch Erläuterungen per E-Mail (!!) vom SHFV. Manchmal hat die moderne Internet-Welt auch ihre Schattenseiten (zu viele Möglichkeiten der Kommunikation).
Ich erwarte nicht, dass unsere Gegner und die vereinsinternen SR alle diese Festlegungen kennen. Woher auch. Ich weiß, dass ich in 95% aller Fälle der einzig Wissende auf der gesamten Sportanlage bin. Das Wissen teile ich gern; so gebe ich den SR natürlich entsprechende Hinweise und sorge für die Anwendung der Regeln- zumindet bei unseren Heimspielen. Aber ich stelle mich nicht hin und schließe Wetten ab, dass ich es besser weiß. Bei Auswärtsspielen sorge ich dafür, dass es eine wirksame Torsicherung gibt und unsere Gegnerinnen nicht mit Festivalarmbändchen oder anderen gefährlichen Gegenständen meine Spielerinnen gefähren- der Rest ist mir ehrlich gesagt fast egal.
Für mich steht fest: 100% sicher kann man nie sein, alle Regeln zu kennen. Selbst wenn man alle verfügbaren Unterlagen studiert gibt es mitunter Regelungen/Anweisungen, die man nicht kennt. 100%ige Regelkenntnis war und ist immer nur näherungsweise zu erreichen. Und so manche "Selbstverständlichkeit" muss im Folgejahr erst durch "Klarstellungen" im Rahmen der Regeländerungen kommuniziert werden, damit alle SR das gleiche unter den betreffenden Regeln verstehen.
Wichtig ist: Bei uns SR müssen die Basics (also die Regeln des DFB-Regelhefts) sitzen. Und damit haben 90% der SR noch genug zu tun -da schließe ich mich explizit mit ein. Bei allen weiteren Festlegungen/Ausnahmen bemühe ich mich, diese zu kennen. Sollte mir das nicht immer 100% gelingen- so what- solange ich in meinem Kreis im oberen Zehntel bin- alles gut. Und von anderen Beteiligten (Spieler, Trainer, Betreuer, ungeprüfte Vereins-SR) erwarte ich gar nicht mehr, dass sie die Regeln 100% kennen.
Dass die Welt so (unnötig) kompliziert ist kann ich kaum beeinflussen. Aber den Ton, den ich anderen gegenüber anschlage. Und da sollten gerade wir älteren/erfahrenen SR mit Gelassenheit und Freundlichkeit agieren- nicht zuletzt deshalb, weil auch wir nicht unfehlbar sind.
Klar ärgere ich mich auch: Über unklare/widersprüchliche Anweisungen, über abfällige Kommentare von Kollegen, wenn man die ein oder andere Frage "öffentlich" während des Lehrabends stellt, über Änderungen, die nicht klar (also schriftlich und abrufbar) kommuniziert werden. Mein Hinterherrennen hinter den aktuellen Bestimmungen hat auch ein Gutes: Quasi als "Abfallprodukt" bin ich regeltechnisch zumeist gut informiert - die Kreisregeltests stellten für mich noch nie eine große Herausforderung dar. Zudem verschafft mir das Recherchieren eine Sicherheit, die ich mittlerweile auch auf dem Platz ausstrahle.
Ich schreibe dies, weil mir folgendes aufgefallen ist: Auf der einen Seite gibt es immer mehr SR, die die Basics nicht beherrschen. Aus meiner Sicht häufen sich die SR-Fehler.
Auf der anderen Seite gibt es Kollegen, die alles und jedes meinen besser zu wissen und dieses auch sehr unangenehm für den ein oder anderen kommunizieren.
Was dem Fußball gut tun würde:
- Mehr Klarheit bei den Regeln/Bestimmungen/Anweisungen
- Weniger Änderungen während laufender Wettbewebe
- Konzentration auf die Basics / die wichtigen Dinge
- Mehr Gelassenheit bei allen Beteiligten (da hapert es auch bei mir- vielleicht wird es nach diesem Post besser )