Als Schiedsrichter alleine auf dem Platz - oder die Quadratur des Kreises

  • Wir alle sehen es jede Woche im Fernsehen und erleben es in den Printmedien, wie Schiedsrichterleistungen "zerpflückt" werden (und dabei ist es eigentlich egal, ob dies berechtigt geschieht oder nicht). Dabei haben die Kollegen der großen Masse gegenüber gleich mehrere unschätzbare Vorteile: Sie haben Assistenten und massive Absperrungen um sich. Lassen wir die Absperrungen mal außer Acht und konzentrieren uns auf die Assistenten: Nach einer Statistik, die Lutz Wagner bei uns im Kreis einmal vorgestellt hatte und die dann auch in der SR-Zeitung veröffentlicht wurde, kommen ungefähr 5 % der Schiedsrichter in den Genuss, mit Assistenten pfeifen zu dürfen. Im Umkehrschluss heißt das, die übergroße Masse muss alleine auf dem Platz zurechtkommen (und meist ohne großartige Absperrungen).


    Wenn man sich das Regelwerk betrachtet, so beschreibt Regel 6 ziemlich ausführlich die Assistenten und deren Aufgaben. Auf der Existenz von Assis baut auch das übrige Regelwerk - besonders Regel 11 (Abseits) - sehr nachhaltig auf. Ketzerisch könnte ich jetzt behaupten, dass jeder Schiedsrichter, der alleine pfeift, einen gravierenden Regelverstoß begeht. Die in einigen Verbänden von den Vereinen zu stellenden nicht-neutralen Assis sind da kein wirklicher Ersatz, zumal sie nur anzeigen dürfen, ob der Ball im Aus war und selbst das oft mehr schlecht als recht erledigen (aus Unwissenheit oder mit Absicht falsche Anzeigen, mangels Motivation keine Anzeigen, heftige Nutzung der Fahne wegen Aufregung über alle möglichen anderen Dinge im Spiel usw.).


    Der allein pfeifende Schiri muss letzten Endes Dinge bewältigen, die menschlich unmöglich sind. Einerseits müsste er auf Höhe des vorletzten Verteidigers stehen, um Abseits sicher beurteilen zu können; schon das ist unmöglich, da er sich nur auf einer Hälfte des Spielfeldes aufhalten kann, spätestens bei einem langen Pass zum Konter gibt es ein Problem. Andererseits muss der Schiri aber nah genug am Spielgeschehen sein, was sich nun wahrlich nicht immer auf Höhe des vorletzten Verteidigers abspielt. Ebenso ist es mit dem Laufweg: Einerseits soll der Schiri möglichst Seitensicht haben und besonders im Bereich des Strafraumes nicht im Weg stehen, andererseits muss er aber spielnah genug sein, um auch hier noch sicher und glaubwürdig entscheiden zu können - man bedenke, dass der Strafraum eine Breite von etwa 40 Metern hat!


    Natürlich ist mir klar, dass die ebenso erforderliche wie wünschenswerte Besetzung aller Spiele mit Gespannen alleine von der Zahl der verfügbaren Schiedsrichter her nicht leistbar sein wird, von der finanziellen Komponente einmal ganz abgesehen (da habe ich weniger Probleme, es gibt so viele Vereine, die ihren Trainern und Spieler Geld zahlen können, da fallen die paar Euro für Assistenten nicht wirklich ins Gewicht). Dennoch ist es schade, dass gerade die Alleinpfeifer - in der Sache sicher oft berechtigter - Kritik ausgesetzt sind, weil sie eben immer Kompromisse machen müssen und die Zahl ihrer Fehlentscheidungen damit zwangsläufig höher liegt. Nüchtern betrachtet ist es erstaunlich, wie zielsicher und richtig viele Alleinpfeifer bei Abseitsentscheidungen und auch in vielen andern Fällen liegen; unter dem Aspekt betrachtet, dass auch mit Assistenten die Fehlerquote bei der Abseitsbeurteilung bei etwa 20 % liegt, ist selbst eine Quote von 50 % eigentlich noch prima.


    Liebe Spieler und Vereine, zu denen eben nur Alleinpfeifer kommen: Wir wissen um unsere Probleme und auch darum, dass etliche Entscheidungen nicht richtig sind, weil wir etwas erledigen sollen, was für einen Menschen nicht leistbar ist. Sie können getrost davon ausgehen, dass wir uns bemühen, trotz der widrigen Umstände möglichst alle Entscheidungen richtig zu fällen - und denken Sie daran, dass manchmal auch der andere Blickwinkel oder wenig bekannte Regeln Ursache für eine vermeintliche Fehlentscheidung sein können. Am schlimmsten für uns ist es, wenn wir Dinge nicht ahnden können, von denen wir im tiefsten Innern wissen, dass hier etwas passiert sein muss, wir es aber nicht gesehen haben oder sehen konnten, der "ganze Platz" aber gesehen hat, was passiert ist. Im übrigen können auch Sie etwas gegen die Misere tun: Es wäre schon mal toll, wenn wenigstens Ihr Verein sein Schiedsrichter-Soll erfüllen oder sogar noch mehr Schiedsrichter stellen könnte - und Sie sich bitte auch bewusst machen, dass hier Idealisten am Werk sind, denn die paar Euro, die ein Schiedsrichter bekommt, der dafür die Quadratur des Kreises beherrschen soll, sind eigentlich nicht der Rede wert (für die meisten SR sind es 3 bis 4 Euro Stundenlohn).

  • Wie die vor 3 Wochen veröffentlichte DFB-SR-Statistik 2011 gezeigt hat, hatte unser Landesverband FSA bei ohnehin (zu) wenig SR die größten Verluste an SR hinzunehmen. Dennoch werden bei uns im Herrenbereich alle Spiele auf Landesebene mit 3 Mann besetzt,
    in unserem Kreis auch die höchste Spielklasse auf Kreisebene und meines Wissens ist dies in den anderen Kreisen auch so.


    Wer kann mir erklären, warum in Landesverbänden mit besserer SR-Ausstattung Herrenspiele sogar oberhalb der Kreisebene ohne SRA angesetzt werden, siehe z.B. Fimpel´s Spiel der Woche in der Bezirksliga? :confused:

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

  • Das dürfte im Kern zwei Gründe haben:


    Erstens gibt es einfach in manchen Gebieten viel, viel mehr Mannschaften auf einer bestimmten Ebene. Ich habe keine Lust, das auszurechnen, aber aus dem Bauch heraus glaube ich nicht, dass es im WFV-Gebiet mehr Schiedsrichter pro Bezirksligist gibt als in Sachsen-Anhalt (bzw. pro Mannschaft, man kann ja in der Bezirksliga keine SRA ansetzen, wenn dann im Kreis nicht mal mehr ein SR verfügbar wäre).


    Der zweite Grund ist schlicht das Geld. Wir spielen hier bis zur zweithöchsten Kreisebene mit SRA und könnten vermutlich noch eine weitere Ebene besetzen - aber die Vereine wollen oder können das in diesen Klassen einfach nicht bezahlen. Sogar im Kreispokal werden die ersten Runden ohne SRA gespielt, ebenso alle Spiele in den höchsten Altherrenklassen.
    Edit: Kostenpunkt wären eben gut 450,- pro Saison allein für die SRA-Einsätze in einer 16er-Liga selbst, das ist für einen Verein in der 3. Kreisebene kein Pappenstiel. Vermutlich würde auch das Ansetzer- und Beobachtungswesen noch etwas teurer kommen.

  • @ almiko


    Die Statistik kann leicht täuschen, sagt sie doch nichts darüber aus, wie einsetzbar die Schiedsrichter sind. In unserem Kreis haben wir eine erfreulich große Zahl an jungen SR-Kollegen - unglücklicherweise spielen von denen aber sehr viele selber noch Fußball, sind also faktisch kaum ansetzbar. Bei den älteren SR nehmen viele - mehr oder weniger freiwillig - andere Ehrenämter wie Trainer und Betreuer wahr, was wiederum Einschränkungen in der Ansetzbarkeit bedeutet. Und so weiter und so fort. Aber immerhin besetzen wir auch die Jugend hinunter bis zur D-Jugend.


    Entscheidend sind aus meiner Sicht aber vor allem 2 Dinge: Selbst wenn wir es wollten, wäre es - trotz sehr guter Bestückung - schwierig, wirklich alle Spiele im Gespann zu besetzen, wobei ich die Jugendspiele noch nicht einmal mitzähle. Und da wo wir es wollen/können, verweigern sich die Vereine unter Verweis auf den Kostenaspekt (es war angedacht, vor dem Hintergrund der zahlreichen jungen SR auch die E-Jugend anzusetzen - zu teuer, in der Pokalrunde gibt es ab dem Achtelfinale Assistenten, aber zu deutlich reduzierten Spesen, ...). Den Kostenaspekt bin ich nicht bereit zu akzeptieren, solange es sich viele Vereine erlauben können, durchaus respektable "Aufwandsentschädigungen" an Trainer und Spieler zu zahlen. Dabei geht es, wenn man der Gerüchteküche glauben darf, selbst im kärglichsten Fall um Beträge, von denen sich ein Assi-Einsatz bezahlen lassen sollte.


    Bei uns wird bis zur D-Jugend angesetzt, Gespanne gibt es aber im Erwachsenenbereich erst ab der Gruppenliga (in den 4 Klassen darunter nicht), bei der Jugend praktisch nie.


    @ Alle
    Mir geht es in erster Linie um eine Würdigung der Leistungen der Alleinpfeifer - weniger um uns selber zu beweihräuchern, sondern um Problembewusstsein bei den Vereinen zu schaffen, denn gerade im Jugend- und unteren Herrenbereich sind Beschimpfungen und Ausfälligkeiten leider öfter anzutreffen als der Leistung, die eben fast unmöglich ist, angemessen wäre (natürlich gibt es da auch ein paar ..., aber ohne die wäre es wohl in fast allen Kreisen noch enger, was die Personaldecke angeht).

  • Hallo Manfred,


    ich kann erst Mal nur eines sagen: Vielen, vielen Dank für diesen Text! :top:
    Du hast alles gesagt, was es dazu zu sagen gibt. Dieser Text sollte allen Vereinen und Trainern deutschlandweit ins Hirn gehämmert werden.


    Auch in Berlin kann erst ab der D-Jugend angesetzt werden, und dann auch nur in den ersten Mannschaften (Leistungsbereich). Mädchen- und Frauenspiele werden überhaupt nur noch dann besetzt, wenn noch Schiedsrichter übrigbleiben. Manchmal werden Schiedsrichter sehr kurzfristig von Frauenspielen wieder abgezogen, um in 3.Männer-Spielen eingesetzt zu werden.
    SR-Gespanne sind absoluter Luxus und sind nur in der Landes- und Berlinliga vorgeschrieben. In anderen Jugend- und Männerspielen werden Gespanne eingesetzt, wenn: 1. es sich um Problemspiele handelt (Abbrüche und Vorfälle bei Hinspielen), 2. es sich um auf- oder abstiegsrelevante Spiele handelt, 3. Halbfinale oder Finale im Poka anstehenl, 4. Vereine Gespanne anfordern (was nicht immer klappt).
    Die Ursache: In Berlin haben wir eine enorme Vereinsdichte und es fehlen ca. 400-500 Schiedsrichter (Tendenz fallend), um alle Spiele auch nur mit einem SR zu besetzen. Die meisten Vereine zahlen lieber Geldstrafen als in eine vollständige SR-Abteilung zu investieren. Und da das Klima auf dem Platz immer rauher und (vorallem verbal) brutaler wird, fragen sich viele Jung-SR nach kurzer Zeit, warum sie sich das alles in ihrer Freizeit antun wollen - und hören auf. Das ganze System funktioniert nicht so ganz richtig. Aber mir fällt auch nichts ein, wie es sich am Besten lösen läßt.

  • Zitat von Borsig_SR

    Dieser Text sollte allen Vereinen und Trainern deutschlandweit ins Hirn gehämmert werden.


    Man sollte den Text von Manfred genau neben das, auf vielen Sportplätzen, vorhandene Schild "Wer den Schiedsrichter beschimpft oder beleidigt, muss mit der Verweisung vom Sportplatz rechnen." hängen. Vom Inhalt her lohnt sich das auf jeden Fall! :top:

  • Zitat von Schiriassi;168615

    das auf vielen Sportplätzen vorhandene Schild "Wer den Schiedsrichter beschimpft oder beleidigt, muss mit der Verweisung vom Sportplatz rechnen."



    Wenn das bei euch der Fall ist beneide ich euch. Bei uns im Kreis habe ich ein solches Schild noch nie gesehen...

    "Wenn man aus Fehlern lernt, werden Umwege zu Abkürzungen!"


    "Nicht das Erzählte reicht, sondern das Erreichte zählt!"


    Herbert Fandel hatte den selben Mathelehrer wie ich, ein gutes Omen?!? :D

  • Das Schild kenne ich durchaus von diversen Sportplätzen - und wo es hängt, ist es oft - zum Glück aber nicht immer - bitter nötig, aber selten wirksam.

  • Ich habe da mal ein paar Beispiele:


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    [ATTACH=CONFIG]2777[/ATTACH]


    Und noch eine nette Aufforderung!

  • Es ist im HFV schlichtweg unmöglich, alle Spiele der Kreioberliga (Bezirksliga ) mit Gespann zu besetzen. Immerhin sind das alleine 32 Staffeln mit durchschnittlich je 17 Mannschaften.
    Etwas anderes ist es im BadFv. Hier sind es in Nord- und Südbaden nur 15 Staffeln.
    Während es in Württember wiederum " nur " 16 Staffeln sind, aber dazu kommen noch 50 untergeordnete Staffeln.
    Es ist also m.E. , gemessen an zur Verfügung stehenden SR in einzelnen Landesverbänden möglich, ab Bezirksliga zu dritt anzureisen, in anderen wiederum nicht.
    Zu den Schildern: Diese kenne ich auch, ob sie immer ihren Zweck erfüllen, mag dahingestellt sein.
    Ich selbst scheue mich nicht, bei einem Spiel mit vielleicht 80 bis 150 Zuschauern, einen notorischen Beleidiger über den Ordnungsdienst oder den Spielführer der Heimmannschaft entsorgen zu lasse.
    Die Wirkung auf andere Zuschauer ist meist erfreulich.