Gleichgültig ob Neuling oder alter Hase - bei fast jedem Spiel wird es zu der Situation kommen, dass man einen der Beteiligten kennt oder sogar per Du ist, schließlich gibt es Spieler, Trainer, Platzwarte, Zuschauer, ...
Unser oberstes Bestreben als Schiedsrichter muss sein, dass wir signalisieren, dass wir das Sprichwort "Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps" beherzigen und für Neutralität stehen. Es spricht nichts dagegen, wenn man Bekannte begrüßt, im Gegenteil, eine Unterlassung wäre unhöflich. Gleichzeitig muss man aber deutlich machen, dass man heute als Schiedsrichter hier ist und damit die bekannten Rollen gelten - klingt zunächst lapidar, hat es aber in sich.
Persönlich bin ich in dem Alter, in dem man nun nur noch selten auf Leute trifft, die aktiv mitspielen, während man pfeift. Aber was passierte mir jüngst in einem Spiel: Ich öffne die Kabinentür der Heimmannschaft - natürlich nach vorherigem Anklopfen - und was sehe ich: 2 Spieler sind Schiri-Kollegen, die den letzten Lehrgang mit mir gemeinsam besucht haben. Das gab natürlich ein großes Hallo von deren Seite - aber hier kommt dann die Kunst der Diplomatie zum Einsatz: Es wäre albern so zu tun, als würde man die Typen nicht kennen. Natürlich begrüßt man sich, sollte aber auf gar zu große Nähe verzichten, sonst könnten Dritte auf den Gedanken kommen, hier würde gemauschelt, also am besten "öffentlich", d.h. für alle hörbar reden. Und jetzt kommt der erste Höhepunkt: Ohne große Betonung, sondern alleine durch Auftreten klarstellen, dass man heute der Schiri ist und für die Spielleitung und die Formalien vorweg keine Rolle spielt, ob man sich kennt. Gerade echte Neulinge und altersmäßig junge Schiedsrichter haben das sicher etwas schwerer, aber dass lässt sich üben. Denke daran, Du spielst heute hier eine Rolle (siehe auch hier) - und zu dieser Rolle gehört vor allem, Respekt zu erweisen und im Gegenzug Respekt einzufordern. Ob man Leute, die man gewöhnlich duzt, nun siezen soll oder nicht - das muss jeder für sich entscheiden, da gibt es keine allgemeingültige Aussage. Wobei: das Du solltet Ihr nur dann akzeptieren, wenn Ihr Euch wirklich duzt; handelt es sich nur um den allgemeinen Umgangston auf dem Sportplatz, wo das "Sie" manchmal selten ist, sollte man dennoch beim "Sie" bleiben. Sollte Dir die Situation unangenehm sein, so vermeide alle überflüssigen Kontakte - es gibt immer eine gute Ausrede für eine "Flucht", angefangen von der Platzkontrolle bis hin zur Aussage, dass man sich vor dem Spiel noch einen Augenblick konzentrieren möchte, Hauptsache, es wirkt professionell.
Apropos Respekt: Gerade in der Kabine hast Du die erste Möglichkeit zu punkten. In jeder Mannschaft gibt es etwas zu beanstanden - das habe ich noch nicht anders erlebt. Irgendjemand hat vergessen seinen Schmuck abzulegen, trägt noch keine Schienbeinschoner usw. Wenn wirklich einmal gar nichts zu bemängeln sein sollte, dann schau einfach bei ein oder zwei Pässen mit älteren Bildern mal genauer hin. Die Spieler sollen merken, dass Du genau bist - denn dann erwarten sie auch auf dem Feld dieselbe Genauigkeit; der erste Punkt, wo Du Dir unaufdringlich Respekt erwerben kannst. Natürlich kannst Du nicht immer das Glück haben, dass ein Pass fehlt o.ä., denn hier kannst Du mit genauer Kenntnis, wie in solchen Fällen zu verfahren ist, schon im Vorfeld glänzen. Sei genau, aber nicht pedantisch, das wäre übertrieben.
Bist Du der Auffassung, dass es Zeit zum Beginn wäre, so sorge per Pfiff dafür, dass die Mannschaften zu Dir kommen. Es ist nicht Deine Aufgabe, die Mannschaften aus der Kabine zu holen, das könnte Dir als Schwäche ausgelegt werden - bist Du jahrelang im Geschäft und bekannt, kannst Du Dir so etwas eher mal erlauben.
Die nächste Duftmarke kannst Du noch vor Spielbeginn setzen: Auf die Gefahr hin, dass einige der Forenteilnehmer maulen und die regeltechnische Grundlage anzweifeln werden, aber fordere die Spieler auf, das Trikot in die Hose zu stecken - der beste Test, ob sie Dich respektieren; sollte es hier schon Gemaule geben, weißt Du schon, auf wen Du aufpassen musst, ansonsten hast Du Dir auch hier für Genauigkeit Respekt verschafft.
Soweit ein Einlaufen üblich ist, sorge dafür, dass das gesittet über die Bühne geht. Dann beweise Dich erneut in Formalien: Stelle Dich mit Namen und Verein vor, gib beiden Spielführern dabei die Hand und sorge ruhig dafür, dass auch die Beiden sich die Hand geben. Danach kommt die Platzwahl, wo Du wie selbstverständlich vorschlägst, dass der Gast wählen darf, welche Seite der Münze er denn gerne hätte. Danach wird die Münze geworfen usw., den Rest kennst Du.
Du merkst, bisher ging es fast ausschließlich um Formalien - aber Du hast schon jetzt die Weichen gestellt, ob die Spieler (und Trainer) Dich respektieren. Schon kommt der nächste Punkt: Zähle die Spieler ab und suche Blickkontakt mit den Torwarten, ob diese bereit sind. Letzteres ist zwar nicht vorgeschrieben, macht aber stets einen guten Eindruck, weil man sich um Fairness bemüht.
Und nun kommt die Krönung: Der Anpfiff. Mache mit diesem Pfiff klar, wer Du bist und was Du heute hier tust. Also nicht zögerlich sondern laut und bestimmt pfeifen, dann hat jeder verstanden, nach wessen Pfeife es hier geht. In der Benutzung der Pfeife liegt ohnehin der Schlüssel zum Respekt: Benutze sie klar und deutlich, d.h. laut und nicht zögerlich. Bediene Dich der eindeutigen Körpersprache, in dem Du anzeigst, wo und in welche Richtung es weiter geht, ggf. auch mit einem kurzen Zeichen, warum Du gepfiffen hast. Wenn Dich ein Spieler fragt, wie es weiter geht, hat er entweder geschlafen oder Du warst nicht deutlich - und das solltest Du unbedingt vermeiden, denn auch Klarheit schafft Respekt. Wenn Dich ein Spieler etwas fragt (natürlich ruhig und sachlich), gib ihm eine ebenso ruhige, klare und sachliche Antwort, wobei allerdings klar sein muss, dass Deine Antwort final und nicht der Einstieg in eine Diskussion war. Habe keine Hemmungen - gerade bei Einwürfen - Deine Entscheidung zu ändern, wenn der Begünstigte (ungefragt) zugibt, dass Deine Entscheidung falsch war, gleiches gilt, wenn Du erkennbar einen Fehler gemacht hast, in dem Du beispielsweise einen sehr weit am Rand stehenden Spieler bei Deiner Abseitsentscheidung übersehen hast - dumm gelaufen, verschafft aber Anerkennung und ist besser, als wenn Du eine offensichtlich falsche Entscheidung durchdrückst, denn dann ist der Respekt weg und nur die Furcht vor der Disziplinargewalt bleibt.
Nutze die Gegebenheiten, die besonders Frei- und Eckstöße bieten, und bei denen es sehr oft vor der Ausführung zu kleineren Rempeleien kommt. Sperre den Ball und mache beiden rempelnden Spielern klar, dass sie sich mäßigen sollen; keine Gefahr einer persönlichen Strafe oder einer anderen potenziell spielentscheidenden Entscheidung (z.B. Strafstoß), aber klare Ansage, was los ist - hilft das nicht, muss der Griff zur Karte folgen. Und hier ist es wieder wichtig, dass Du erkennbar alle Spieler gleich behandelst, egal, ob Du sie kennst oder nicht, denn dafür haben die übrigen Spieler eine Antenne.
Noch ein paar Worte zur Halbzeitpause und zum Verhalten nach dem Spiel:
In der Halbzeitpause hältst Du Dich am besten von allen Beteiligten fern. Nach Spielende - sofern alles glatt gegangen ist - gibt es kaum noch Restriktionen, wobei Du "nur" noch darauf achten musst, den Eindruck zu vermeiden, als könne etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Gab es hingegen knappe oder umstrittene Entscheidungen, sieh zu, dass Du möglichst schnell und dezent aus dem Schussfeld kommst und Kontakte auf das unumgängliche Mindestmaß reduzierst - besonders mit den Leuten, die Du kennst, weil das womöglich dumme Gedanken aufkeimen lässt.
Letzten Endes gibt es aber Naturtalente und Leute, die mit Erfahrung reifen - von Einzelfällen abgesehen, die es nie lernen werden, aber dann hättest Du den Artikel wohl nicht bis zum Schluss gelesen.