Du willst also Schiedsrichter werden? Gut, ein gewisses Interesse hast Du, sonst wärst Du nicht hier im Forum gelandet – aber bist Du Dir wirklich bewusst, worauf Du Dich einlassen willst?
Im Fernsehen sieht das alles so cool aus, der Schiri pfeift und alle spuren. Aber schau einmal genauer hin: Spuren Sie immer? Oder bemerkt man nicht manchmal, dass da auch andere Sachen abgehen – warum sonst gibt es wohl die eine oder andere Karte? Und genau so, wie die Fernsehreporter, Trainer etc. über tatsächliche oder vermeintliche Fehlentscheidungen des Schiedsrichters herziehen, so wird es Dir auf dem Platz auch ergehen. Die 100 vergebenen Chancen, die die Spieler wegen Unfähigkeit, aus Mangel an Kondition usw. nicht genutzt haben, interessieren keinen, aber die eine Chance, die sich aus Deiner fehlerhaften Abseitsentscheidung hätte ergeben können – nun, auf die wäre es zweifelsohne angekommen.
Du merkst also, der Sündenbock wirst Du immer sein. Die Mannschaften können im schlimmsten Fall aus Protest gegen Dich den Platz verlassen und so einen Spielabbruch erzwingen, Du hingegen musst jeden noch so grottenschlechten Kick bis zum bitteren Ende ansehen. Dennoch bist Du am Schluss fast immer der Schuldige an diesem Spielausgang, das ändert sich erst, wenn die Tordifferenz zweistellig wird – aber wann ist das schon einmal der Fall.
Wie, ich konnte Dich immer noch nicht überzeugen, dass das Schiedsrichter-Amt keine Aufgabe für Dich ist? Gut, Du hast es so gewollt! Im Gegensatz zu den Spielern, die immer Fans am Platz haben, bist Du stets einsam. Rechne damit, dass sich nur selten jemand bei Dir bedanken wird, egal wie gut Du warst. Sei Dir bewusst, dass Du der Einzige auf dem Platz sein wirst, der über halbwegs fundierte Regelkenntnisse verfügt; denn selbst wenn jemand ähnliche Kenntnisse haben sollte, werden diese regelmäßig durch die Vereinsbrille getrübt. Mache Dir klar, dass bei jeder Entscheidung mindestens eine Person besser stand als Du – und das meine ich vollkommen ernst, denn Du sollst als Schiedsrichter unmögliches vollbringen: Auf Ballhöhe und einigermaßen in Spielnähe sein, das Spiel aber nicht stören oder im Weg stehen. Du musst mindestens 4 Augen haben, um auch zu bemerken, wer da hinter Deinem Rücken ein Foul begeht oder wer im Moment des Abspieles des Balles denn nun tatsächlich im Abseits stand und ob nicht irgendwo an der Außenlinie noch ein Verteidiger hockt, der gerade seine Schuhe bindet und so die Abseitsstellung aufhebt.
Was! Es reicht Dir immer noch nicht?!? Sei gewiss, es meckern immer und alle – und nur mit Dir. Du kannst so regelkonform pfeifen wie Du willst, dieses Schicksal wird Dir nicht erspart bleiben, denn das Regelwerk kennt dafür viel zu oft die Aussage, dass eine Aktion nach Ansicht des Schiedsrichters unsportlich, übertrieben hart etc. war, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Du bemerkst, dass da gleich zwei inhaltlich nicht exakt bestimmte Dinge zusammen kommen: Was ist unsportlich bzw. übertriebene Härte und was ist Deine Ansicht darüber. Sei gewiss, fast jeder Spieler und Zuschauer wird es anders sehen – und entsprechende Hasstiraden gegen Dich ablassen. Du glaubst, dass es einen Ordnungsdienst gibt, der Dich schützt? Merke Dir, Glauben kannst Du in der Kirche oder sonst wo, auf dem Fußballplatz lass es lieber. Der Ordnungsdienst besteht, so er überhaupt in Erscheinung tritt, oft genug aus altgedienten Vereinsmitgliedern, die entweder auch über Dich herziehen oder körperlich nicht in der Lage sind, auch nur eine halbwegs ernsthafte Drohkulisse gegenüber denen abzugeben, die Dir an die Wäsche wollen.
Meine Güte, Du bist ja wirklich durch nichts zu erschüttern. Aber warte, ich habe ja noch mehr auf Lager. Sei Dir klar darüber, dass Du die zweifelhafte Ehre hast, jeden Monat an einer Pflichtsitzung für Schiedsrichter teilnehmen zu müssen. Dazu kommt ein Leistungsnachweis und womöglich auch ein Regeltest. Gerade der Regeltest ist immer besonders interessant, da er sich um die wirklich häufigen Probleme dreht, wie zu entscheiden ist, wenn die Ehefrau des Torwartes diesen in einer Spielruhe küsst und dabei mit ihren hohen Schuhen dem Mittelstürmer der Gegenmannschaft auf den nagelneuen Fußballschuh tritt. Rechne damit, dass derjenige, der Dich zu Spielen einteilt, auf Deine persönlichen Bedürfnisse keine Rücksicht nimmt, da er vor allem die Spiele besetzen will und ihn der Rest nicht interessiert.
Ich konnte Dich also wirklich nicht abschrecken? Gut, die erste Prüfung hast Du bestanden, denn Du hast nachgewiesen, dass Du eine gehörige Portion Leidensfähigkeit besitzt.
Du willst also wirklich Schiedsrichter werden. Dann suche Dir zuerst einen Verein, bei dem Du Dich wohlfühlst. Sieht Dich Dein Ansprechpartner gleich mit Euro-Zeichen in den Augen an, so rechnet er gerade nach, wie viel Strafe für Nichterfüllung des Schiedsrichtersolls er in der nächsten Saison sparen wird, an Dir als Person hat er kein Interesse und auf viel Unterstützung wirst Du nicht hoffen können. Besser ist es, wenn der Verein, für den Du Dich interessierst, einen Schiri-Obmann hat bzw. Dir einen erfahrenen Schiri als Ansprechpartner nennt. Hier kannst Du erst einmal in aller Ruhe ein klärendes Gespräch führen – und sollten diese Dich drängen, so schaue Dich erst einmal weiter um.
Hast Du einen Verein gefunden, so wird dieser Dich zum nächsten Neulingslehrgang anmelden und Dir auch mitteilen, wann und wo selbiger stattfindet. Bist Du nicht selbst motorisiert, so sprich das gleich an, denn dieses Problem wird Dich verfolgen; die meisten Fußballplätze liegen abseits aller Verbindungen mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Und nun wünsche ich Dir viel Spaß und Erfolg beim Lehrgang – und vergiss nicht, Dich hier zu registrieren, denn hier wirst Du vieles von dem finden, was Du noch vermissen wirst: Erfahrene Kollegen ohne Standesdünkel und freundliche Kameradschaft.