Der Rückwärtsgang und seine Folgen

  • Folgende Spielsituation:
    In Erwartung der Annahme einer Flanke/eines Passes läuft ein kräftig gebauter Spieler rückwärts. In der Laufbahn steht aber ein gegnerischer Spieler ("halbes Hemd"), der zweifelsfrei umgerannt werden würde. Wie ist zu verfahren, wenn
    1. der Spieler umgerannt wird - hier wäre ich bei direktem Freistoß für den umgerannten Spieler - oder
    2. der Spieler, der umgerannt zu werden droht, in letzter Minute ausweicht, um eine eigene Verletzung zu vermeiden - ? - oder
    3. der Spieler, um sich zu schützen, versucht, den auf ihn zulaufenden Spieler mit beiden Händen abzuhalten bzw. weg zu drücken - wäre das wirklich ein Foul des Spielers, der ansonsten umgerannt würde? - ?

  • Bei 1 wäre ich sofort dabei

    bei zwei würde ich weiter laufen lassen - freie Entscheidung des Spielers

    bei drei wäre es für mich tatsächlich ein Foul

  • Zunächst einmal sollte es bei der Zweikampfbewertung keine Rolle spielen, in welcher Gewichtsklasse die jeweiligen Kontrahenten befinden. Im Prinzip können auch die Rollen vertauscht werden.


    1. würde ich als mindestens fahrlässiges Rempeln auslegen und daher dF für das halbe Hemd.


    2. und 3. sind meines Erachtens tatsächlich nicht direkt aus den Regeln abzuleiten. Im Sinne der Regeln würde ich 2. analog einen gefährlichen Spiels mit idF ahnden und 3. wie 1.

  • 1. ist für mich ein relativ klar Foul des rempelnden Spielers.


    Bei 2. und 3. glaube ich, dass ich es auf dem Feld nur sehr schwer so erkennen würde und meine Wahrnehmung häufig anders wäre.


    Bin ich jedoch überzeugt, dass der Spieler ausweicht, um eine Verletzung zu vermeiden, muss ich auf gefährliches Spiel entscheiden, ergo idF.


    Wenn der Spieler die Arme hochnimmt, um den "Einschlag" des Gegenspielers abzufangen, würde ich weiterspielen lassen. Ich bin aber auch überzeugt, dass ich in der Praxis in dieser Situation häufig auf Foul gegen diesen Spieler entscheide, weil meine Wahrnehmung ein Stoßen ist.

  • Da spielen einfach zu viele Überzeugungen anstelle klare Wahrnehmungen mit.

  • Das ist eben der Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ich habe die Antworten gegeben, die ich im Regeltest gegeben hätte. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich diese Entscheidungen sehr selten so getroffen habe. Daher habe ich den von mir vermuteten Grund direkt mitangegeben.

  • 3. finde ich sehr einfach. Nimmt der Spieler nur die Arme hoch und drückt nur bei der Rückwärtsbewegung dagegen, um den anderen Spieler aufzuhalten, geht es weiter. Stößt er den anderen aktiv weg, gibt es einen direkten Freistoß.


    1. ist auch klar, bei 2. sehe ich keinen Grund zum Eingreifen. Beim Rückwärtslauf ist die Geschwindigkeit im Regelfall nicht so hoch, dass automatisch eine Verletzungsgefahr bei einem Zusammenstoß besteht, wenn der zweite Spieler den ersten kommen sieht (sonst würde er nicht ausweichen). Die unterschiedlichen Gewichte und Größen würde ich nicht bewerten, sondern nur die Vehemenz des "Einschlags". Genausowenig wie ich einen Spieler als unsportlich bewerten darf, weil seine viel größere Schnelligkeit im Laufduell oder Wendigkeit im Zweikampf einsetzt, kann ich einen Spieler dafür bestrafen, dass er viel mehr Kraft in einen direkten Zweikampf einbringen kann und einen Gegenspieler einfach wegschiebt, der im umgekehrten Fall abprallen würde.

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.

  • Im Prinzip haben die Hände am Gegner nichts zu suchen

  • Im Prinzip haben die Hände am Gegner nichts zu suchen

    In welcher Regel steht das genau? Ist es (mindesten fahrlässiges) Stoßen, Halten oder Sperren mit Körperkontakt?


    Und wenn „die Hand am Gegner“ ein Vergehen ist, welches Vergehen war dann das erste oder schwerere?


    Ein Spieler darf nämlich gemäß 12.2 einem Gegenspieler im Weg stehen. Er muss ihm also auch nicht Platz machen. Daher kann es doch auch nicht im Sinne des Fußballs sein, dass er sich ihm schutzlos mit dem Risiko einer Verletzung durch den Zusammenprall ausliefern muss, nur um einen direkten Freistoß zu bekommen anstatt eines Freistoßes gegen sich?

  • 1) ist ja unstrittig ein Foul des Angreifers.


    2) Niemals kann man deswegen auf gefährliches Spiel entscheiden. In der Theorie mögen die Voraussetzungen im Wortlaut der Regeln vielleicht erfüllt sein, aber überlegt mal, wo man das dann noch überall argumentieren könnte. Geht der Spieler zur Seite, ist das seine Entscheidung, kein Grund für den SR einzugreifen.


    3) Theorie: Mit den Armen den Spieler zu schieben ist ein Foul des Verteidigers. Praxis: Solange das kein Stoßen, Ziehen am Trikot, oder übertriebenes Schieben ist, geht es da relativ lange erstmal weiter, für mich ein normaler Zweikampf. Nicht jede Berührung mit der Hand am Körper des Gegners ist ein Foul.

  • zettelbox und gebi Habe ich das richtig aufgefasst:


    1. Wenn der Spieler stehen bleibt und brutal umgerannt wird, dann bekommt er einen direkten Freistoß.


    2. Wenn we im letzten Moment ausweicht und es kommt zu keinem Kontakt, dann hat er Pech gehabt und ggf. kann der Angreifer sogar ein Tor schießen.


    3. Wenn er den Impuls des heftigen Zusammenpralls mit seinen Händen abfedert, dann hat noch mehr Pech gehabt, weil es dann sogar denStrafstoß geben könnte.


    Und das soll jetzt im Sinne des Geistes des Fußballs sein?

  • Mein lieber Mark du interpertierst wieder Sachen hinein:

    von "brutal" war im Ausganspost nichts zu lesen....

    den Rest erspar ich mir

  • von "brutal" war im Ausganspost nichts zu lesen.

    Natürlich steht da nichts von brutal. Damit möchte ich nur den Extremfall beschreiben, was theoretisch die Folge der Kollision wäre, wenn er einfach ungeschützt stehen bleibt (David gegen Goliath, nur dass hier David verliert).


    Ihr wollt doch nicht wirklich das vermeintliche Handvergehen ahnden?

  • zettelbox und gebi Habe ich das richtig aufgefasst:


    1. Wenn der Spieler stehen bleibt und brutal umgerannt wird, dann bekommt er einen direkten Freistoß.


    2. Wenn we im letzten Moment ausweicht und es kommt zu keinem Kontakt, dann hat er Pech gehabt und ggf. kann der Angreifer sogar ein Tor schießen.

    Das hast du in der Tat richtig aufgefasst, und das sind so die Basics aller Basics des Fußballs. Hat auch nichts mit dem Rückwärtslaufen zu tun, geht genauso bei vorwärts: Läuft ein Spieler den anderen, stehenden Spieler über den Haufen, ob rückwärts, vorwärts oder seitwärts, gibt es einen Freistoß gegen den Überhaufenlaufer. Bei "brutal" sogar den FaD oben drauf.


    Macht ein (meinetwegen 50 kg wiegender) Verteidiger aber einen Schritt zur Seite, weil er den Zweikampf mit dem (meinetwegen 130 kg schweren, im Vollsprint rennenden) Angreifer scheut, so läuft das Spiel natürlich weiter.


    Also irgendwie müssen wir hier grundverschiedene Situationen vor Augen haben, denn das passiert doch ständig. Wie oft soll ich denn, wenn das anders wäre, einen indirekten Freistoß geben, weil möglicherweise ein Verteidiger verletzt worden wäre, hätte er einen Meter weiter links oder rechts gestanden? Hä?


    3. Wenn er den Impuls des heftigen Zusammenpralls mit seinen Händen abfedert, dann hat noch mehr Pech gehabt, weil es dann sogar denStrafstoß geben könnte.


    Und das soll jetzt im Sinne des Geistes des Fußballs sein?


    Das hast du wiederum nicht richtig verstanden, zumindest habe ich das ja nie gesagt und ich sehe auch niemand anderen hier im Thread, der das gesagt hätte. Wer den Impuls eines Gegenspielers mit den Händen abfängt, begeht natürlich kein Vergehen, das ist doch klar. (Und "den Impuls des heftigen Zusammenpralls" abzufangen, kann ja erst recht keinen Strafstoß gegen den Verteidiger verursachen, weil der heftige Zusammenprall wiederum ein Foul des Angreifers darstellt, siehe 1 - und damit geht die Spielstrafe sowieso zu ungunsten des Angreifers aus.)


    Ich schrieb, wenn ein Spieler (vorher) mit den Armen seinen Gegenspieler schiebt, ist das ein Foul. In der Theorie auch dann, wenn der Verteidiger 50 und der Angreifer 400 kg wiegt. Auch in der Theorie ist "schieben" aber etwas anderes als "einen Impuls abfangen", das lese ich jetzt zum ersten Mal. Das ist natürlich nie strafbar.


    In der Praxis, auch das schrieb ich dazu, geht es selbst beim Schieben oft weiter, solange es im Rahmen bleibt.


    Ich hab also quasi das Gegenteil von dem geschrieben, was Du mir in den Mund legst. Also jetzt mal Butter bei die Fische: Worauf willst du hinaus?

  • Macht ein (meinetwegen 50 kg wiegender) Verteidiger aber einen Schritt zur Seite, weil er den Zweikampf mit dem (meinetwegen 130 kg schweren, im Vollsprint rennenden) Angreifer scheut, so läuft das Spiel natürlich weiter.

    Das ist zwar derzeit vorherrschende Auffassung, stringent ist das aber nicht:
    Wenn ein Spieler seinen Kopf wegzieht, um vom hohen Bein des Gegenspielers nicht getroffen zu werden, gilt das als Klassiker des gefährlichen Spiels - ich finde die Szenarien aber durchaus ähnlich ...

  • zettelbox Bei 2. haben wir womöglich unterschiedliche Bilder vor Augen. Bei mir verhindert der Verteidiger eine mögliche Verletzung durch Ausweichen. Daher klare Analogie zum Gefährlichen Spiel, auch wenn der Angreifer noch nicht unmittelbar versucht hat den Ball zu spielen.


    Bei 3. bleibt es bei dem ersten Vergehen des Angreifers, nämlich die Gefährdung. Des Weiteren rennt er bei mir jetzt nicht direkt auf den Körper sondern die abgestrecken Hände. Ähnlich einer Abwehrbewegung eines zu hohen Beines mit den Händen vor dem eigenen Gesucht.

  • Wenn ein Spieler seinen Kopf wegzieht, um vom hohen Bein des Gegenspielers nicht getroffen zu werden, gilt das als Klassiker des gefährlichen Spiels - ich finde die Szenarien aber durchaus ähnlich ...

    Das sehe ich überhaupt nicht so.

    Fuß gegen Kopf ist nunmal kein legales Spiel, birgt hohes Verletzungspotenzial und man muss nicht auf den Knall warten, um das zu unterbinden. Zieht ein Spieler seinen Kopf weg, um den Einschlag zu verhindern, ist das in der Tat der Klassiker des gefährlichen Spiels und es ist absolut sinnvoll, dem Verteidiger auch ohne den tatsächlichen Kontakt den Freistoß zuzusprechen.


    Körper gegen Körper hingegen ist der Kern vom Fußball als Kontaktsport. Wenn hier ein Spieler den Zweikampf aus Angst vor einer Verletzung scheut, kann er das machen, das kann aber nicht zum Nachteil des Gegners ausgelegt werden. Eine Situation Körper gegen Körper ist doch eine ganz andere als eine Situation hoher Fuß gegen Kopf/Gesicht - ich sehe hier keine Möglichkeit und erst recht keinen Sinn, das Spiel zu unterbrechen und den Verteidiger für seine Angst den Zweikampf zu führen irgendwie spieltechnisch zu belohnen.


    Daher klare Analogie zum Gefährlichen Spiel, auch wenn der Angreifer noch nicht unmittelbar versucht hat den Ball zu spielen.

    Bei Fuß gegen Kopf besteht eine immanente, fußball-atypische, klare Verletzungsgefahr.

    Bei Körper gegen Körper, selbst bei sehr unterschiedlichen Gewichtsklassen, ist das nicht so. Die meisten Zweikämpfe zwischen Spielern sehr unterschiedlicher Gewichtsklassen enden trotzdem ohne Verletzung, was sich über die Mehrzahl der Fuß-Kopf-Begegnungen ganz bestimmt nicht sagen lässt.


    PS: Ihr wollt jetzt aber nicht wirklich Verteidigern indirekte Freistöße zusprechen, weil ihr Gegenspieler mehr wiegt und sie sich im Zweikampf somit eventuell verletzen könnten, oder?

  • PS: Ihr wollt jetzt aber nicht wirklich Verteidigern indirekte Freistöße zusprechen, weil ihr Gegenspieler mehr wiegt und sie sich im Zweikampf somit eventuell verletzen könnten, oder?

    Bei mir geht’s nicht um die unterschiedlichen Gewichtsklassen, sondern darum, dass es aufgrund der hohen Geschwindigkeit des Angreifers, der in einen stehenden Verteidiger rennt, ein Kontaktvergehen begeht (Rempeln). Wir reden weder über einen normalen Zweikampf noch über einen unglücklichen Zusammenprall, sondern mindestens eines fahrlässigen Verhaltens ausschließlich des Angreifers.

  • Körper gegen Körper hingegen ist der Kern vom Fußball als Kontaktsport. Wenn hier ein Spieler den Zweikampf aus Angst vor einer Verletzung scheut, kann er das machen, das kann aber nicht zum Nachteil des Gegners ausgelegt werden.

    Das sieht der Regelgeber aber ganz offensichtlich doch etwas anders - oder warum spricht der sonst von korrektem Tackling, verbietet dies aber ohne Kampf um den Ball, stellt übermäßige Härte - gerade beim Körpereinsatz - unter Strafe, verbietet das gefährliche Spiel - genau da ist der Rückzug aus Angst vor einer Verletzung betroffen - und ist vom Geist des Fair play beseelt?


    Es ist genau dieser immanente Widerspruch, den Du negierst, der aber existiert - und genau das macht es so schwer zu erkennen, wie das Regelwerk solche Dinge gehandhabt sehen will. Wenn ich dafür einen indirekten Freistoß "einfach so" verhängen wollte, könnte ich das tun, das wäre sogar erklärbar - aber nicht unbedingt im Sinne einer einheitlichen Regelauslegung. Andererseits wird die beschriebene Situation im Regelwerk nicht explizit und in der Lehrarbeit, sicher auch deshalb, weil sie selten vorkommt und zudem oft noch vom Vorteil überdeckt wird, nicht thematisiert - was aber eben keine befriedigende Lösung ist.