Ball gespielt und Foul

  • Ich nehme den aktuellen Fall des BVB's im Profisport mal hier als Diskussionsgrundlage her: https://web.de/magazine/sport/…ri-verschwoerung-39346394


    Meine Frage: Wenn der Abwehrspieler in den Ball grätscht und ausserdem nahezu zeitgleich mit seiner Grätsche den Stürmer zu Fall bringt, dann ist das doch ein Foul und entsprechend zu ahnden oder nicht? Es kann ja im Sinne von Spieler und Spiel schützen nicht ein Freifahrtsschein sein, zwar den Ball zu spielen aber nebenbei mit der Grätsche eine Verletzung in Kauf zu nehmen. Oder muss ich sowas im Sinne einer körperbetonten Sportart laufen lassen?

  • Wenn es wirklich zeitgleich passiert, spricht viel für Foul.

    Wenn aber das Ballspielen zeitlich kurz vorher passiert (wie bei Hummels), kommt es sehr darauf an, wie stark der folgende Kontakt mit dem Gegner ist und es ist dann letztlich immer eine Einzelfallentscheidung ob das Ballspielen oder das Treten/Beinstellen des Gegners überwiegt.


    Meine Faustregel (die aber auch nicht immer zum besten Ergebnis führt):

    Wenn es ohne Ballspielen ein fahrlässiges Foul wäre, ist es mit vorherigem Ballspielen kein Foul.

    Wenn es ohne Ballspielen ein rücksichtsloses Foul wäre, ist es mit vorherigem Ballspielen ein fahrlässiges Foul.


    Dazu kommt noch, dass man wohl zwischen "Ball spielen" und "Ball berühren" unterscheiden muss, zumindest drehen sich darum bei Hummels auch die Diskussionen.

  • Guten Morgen allerseits,


    bevor ich meine Meinung zu Deiner Frage zum besten gebe, möchte ich die Gelegenheit nutzen, mich kurz vorzustellen.


    Bin nämlich neu hier.


    Ich bin bald 52 Jahre alt. Spiele schon ewig Fußball und auch heute noch. Habe das letzte Jahr als Spieler-Papa immer mal wieder die C-Jugend-Spiele unseres Sohnes geleitet, versucht, dabei neutral zu bleiben und durch diese praktischen Erfahrungen den Spaß für das Schiedsrichter-Wesen entdeckt. Die umfangreichen Regeln habe ich mir bereits öfters durchgelesen und vor den Spielen auch intensiver.


    Am kommenden Wochenende werde ich am Schiedsrichter-Lehrgang teilnehmen und danach hoffentlich die praktischen Erfahrungen auf diesem Gebiet intensivieren können.


    Das sollte erstmal reichen. :)


    Meine Meinung zur Spielsituation (bin übrigens auch BVB-Anhänger) :bvb_1:


    Ich kann die SR-Entscheidung zwar nachvollziehen, finde sie im Nachhinein allerdings etwas hart. Tillman legt sich den Ball etwas zu weit vor. So kann ihn Hummels relativ gut und ohne großes Risiko weggrätschen. Es lässt sich erahnen, dass Tillmann dann - nach leichtem Kontakt - abhebt und sich wohl auch fallen lässt. Letztendlich für mich ein geschicktes Verhalten der Nr. 10.


    Da Hummels in diesem Fall gut sichtbar für Tilmann von der Seite kam, deutlich den Ball treffen wollte und dies auch tat ohne hartes Treffen des Gegners, hätte man mMn hier weiterspielen lassen können.


    Allerdings: Die Details lassen sich hinterher für uns sehr gut anhand von mehrfacher Wiederholung der Bilder, Zeitlupe und Drücken der Pause-Taste etc. nachvollziehen.


    In der Spielsituation gestern Abend selbst war die Entscheidung des SR für mich besser nachzuvollziehen. Hummels ist ein extrem hohes Risiko eingegangen und muss damit rechnen, dass so entschieden werden könnte. Zudem hatte er noch Mitspieler im Rücken, die noch etwas hätten retten können.


    Grundsätzlich ist aber für mich nur die Aussage oder auch Tatsache "Ball gespielt" alleine nicht ausschlaggebend, den Pfiff zu unterlassen. Es ist ja - wie so oft - die Gemengelage in der jeweiligen Spielsituation. Ich lasse mich vermutlich von einigen Fragestellungen leiten: Wie hoch ist das Tempo? Aus welcher Richtung kommt der Spieler, der versucht, den Ball zu spielen? Kann der ballführende Spieler die Grätsche erkennen oder kommt diese völlig überraschend? Kommt es neben dem Ballspiel noch zu einem deutlichen Kontakt? Wie riskant war der Einsatz für die Gesundheit des ballführenden Spielers?


    Für mich sind bereits in der Praxis diverse "ich habe doch nur den Ball gespielt" deutlich drüber gewesen, mindestens rücksichtslos und teilweise auch übermäßig hart. Insbesondere dann, wenn der gefoulte Spieler förmlich aus den Schuhen gehauen wird. Sowas sollte generell unterlassen werden, selbst wenn dabei erstmal unterstellt werden könnte, dass der Ball gespielt werden sollte.


    Bin mal gespannt, wie die Mehrheit die Szene bewertet.


    Liebe Grüße an alle da draußen!



    :thanx:

    PS. Ist bestimmt schon mehrfach erwähnt worden: Tolles Forum hier! Genau richtig, wenn man Zweifel hat, sich weiterbilden möchte, sich bei mancher Regelauslegung alleine schwer tut oder einfach nur nach guten Tipps sucht! Deshalb DANKESCHÖN an alle, die das Forum gegründet haben, es pflegen oder einfach nur mitmachen! Ich hoffe, ich finde hin und wieder mal Zeit und Gelegenheiten, mich konstruktiv einzubringen.

  • Für mich ein Kann-Elfer insoweit, dass Hummels den Ball spielt und erst dann den Gegenspieler zu Fall bringt. Nun kommt aber das gestreckte Bein und die offene Sohle hinzu. Beides gefährliches Spiel und somit verboten und nur so kann Hummels den Ball spielen. U. U. trifft er seinen Gegenspieler sogar noch mit dem ausgestreckten Bein, die Gefahr ist hoch. Und hier wird für mich aus einem Kann- ein Muss-Elfmeter.

  • Ich habe in einer vergleichbaren Situation am Wochenende auch auf Strafstoß entschieden, da der Foulende - ähnlich wie Hummels - den Gegenspieler trotz "ich hab doch nur den Ball gespielt" auch deutlich mit offener Sohle getroffen hatte. Natürlich war das Geschrei groß, aber selbst nach einigen Tagen Abstand würde ich wieder so entscheiden. Und als erfahrener Spieler sollte sich Hummels des Risikos eines solchen Zweikampfs im Strafraum bewusst sein.

  • Schauen wir doch zunächst ins Regelwerk 12.1:


    Ein direkter Freistoss wird gegeben, wenn ein Spieler eines der folgenden Vergehen gegenüber einem Gegner nach Einschätzung des Schiedsrichters fahrlässig, rücksichtslos oder übermässig hart begeht:

    -Tackling mit dem Fuss (Tackling) oder Angriff mit einem anderen Körperteil (Angriff)

    • „Fahrlässig“ bedeutet, dass ein Spieler unachtsam, unbesonnen oder unvorsichtig in einen Zweikampf geht. Es ist keine Disziplinarmassnahme erforderlich.


    Die Regeln sehen weder zwingend einen Kontakt noch den getroffenen Ball als Kriterium für Foul bzw. nicht Foul.


    Hummels geht mit offener Sohle in den Zweikampf (reicht theoretisch schon) und trifft (durch Können oder Zufall) mit der Sohle nicht dem Gegenspieler jedoch leicht den Ball. Anschließend räumt er mit dem anderen, zum Glück angezogen, Bein/Fuß den Gegenspieler um. Für mich sind alle Vorraussetzungen für ein fahrlässiges Foulspiel erfüllt.


    Wenn er klar vorher am Ball ist, ohne dass der Angreifer aus Angst vor einer Verletzung zurückziehen muss, und dann über Hummels Beine stolpert, wäre ich für „kein Foul“.


    Auf alle Fälle war es zumindest so „grau“, dass keine Feldentscheidung durch den VAR hätte zu einem Review führen dürfen. Ansonsten können wir zukünftig eine „Jury“ einführen, die bei strittigen Situationen entscheidet.


    Aber schon der Amateure wegen, sollten solche Tacklings grundsätzlich strafbar sein.

  • Der Regeltext hilft da aber nur bedingt weiter, weil "fahrlässig" bzw. "unachtsam, unbesonnen oder unvorsichtig" noch einen großen Interpretationsspielraum bietet.

    Deshalb kann man eine einheitliche Auslegung eigentlich nur über Referenzszenen oder weitere Kriterien erreichen.

    Bei den Referenzszenen wäre es sehr hilfreich, bei einer strittigen Szene wie dieser hier, hinterher eine Bewertung von den zuständigen Verbänden zu erhalten.

    Weitere Kriterien wurden hier ja schon genannt.


    Dass es aufgrund der Unklarheit nichts für den VAR war (bzw. höchstens bei einer komplett falschen Wahrnehmung des SRs), dürfte noch das Klarste an der ganzen Sache sein...