Ich bin mittlerweile in meinem achten Jahr als aktiver Schiedsrichter. Von März 2011 bis August 2014 beim Südbadischen Fußballverband in Freiburg, von März 2015 bis März 2018 beim Fußballverband Rheinland im Westerwald und seit März 2022, nach einer vierjährigen Pause, wieder beim Bayerischen Fußballverband in München.
Doch momentan habe ich eine wirklich tiefe Krise mit meiner Tätigkeit als Schiedsrichter.
Meine letzte vier Spiele, alles Herren, drei Freundschaftsspiele und ein Pokalspiel, sind allesamt wirklich sehr, sehr schlecht gelaufen und das in vielerlei Hinsicht.
Ich hatte in diesen Spielen das ganz große Problem, dass nichts mehr wirklich gut aber dafür alles extrem schlecht war. Die Akzeptanz für meine Entscheidung ist nicht mehr da, meine Autorität als Spielleiter wird nicht mehr anerkannt. Ich bin jetzt 33 und hatte noch nie so große Probleme, mich durchzusetzen und die Spiele angemessen zu leiten, wie momentan. Das war vor zehn Jahren, mit 23 und knapp einem Jahr Erfahrung, deutlich leichter.
Am schlimmsten war das vorletzte Spiel. Ein Freundschaftsspiel im benachbarten Stadtteil; 1:8 als Endergebnis aber dennoch sechsmal Gelb, einmal Gelb-Rot und einmal glatt Rot für die Heimmannschaft. Schon nach vier Minuten ging das Gebrülle, Gemecker und Gezetere in einer Vehemenz los, die ich so bislang nicht kannte. Meine Entscheidungen werden nicht akzeptiert, mit lautem Brüllen und wildem Gestikulieren quittiert, der Trainer brüllt an der Seitenlinie, dass ich mir bloß nicht einbilden solle, für diese Scheiße auch nur einen einzigen Cent an Spesen zu erhalten etc. Bei dem Spiel hatte ich zwischenzeitig wirklich das Gefühl, es könnte kurz vor dem Abbruch stehen.
Dass meine Autorität schlicht nicht mehr da ist, zeigte sich auch darin, dass es zum Beispiel schon recht schwierig war, auch nur eine Mauer zu stellen. Der einfache Hinweis "bis auf meine Höhe bitte" wird mit diversen abfälligen und höhnischen Kommentaren bedacht. Bei eigentlich recht harmlosen Pfiffen gibt es lautes und missverständliches, höhnisches Gelächter, so als könnten die Spieler den Mist, den ich pfeife, überhaupt nicht begreifen. Einen Angreifer weise ich darauf hin, dass er beim Eckball einen gewissen Abstand zum Torhüter einhalten und diesen nicht im Fünfmeterraum bedrängen soll. Der betroffene Spieler lacht lauthals los, läuft in Richtung der Trainerbank und ruft: "Ey Kalle, ich hab gerade eine neue Regel gelernt: Ich darf beim Eckball nicht mehr beim Torhüter stehen." und drückt damit aus, wie absolut absurd er meine Aussage fände.
Bei meinem letzten Spiel war wieder der übliche eine Provakateur dabei, der jede, absolut jede Entscheidung mal lautstark, mal kleinlaut kommentiert und sich schlicht geweigert hat, sich meine Ansage anzuhören. "Es ist interessiert mich nicht, was du mir sagen möchtest. Gib mir Gelb und lass mich in Ruhe." Das bekomme ich von einem Spieler in einem Freundschaftsspiel nach 20 Minuten beim Stand von 0:0 zu hören.
Ich bin ziemlich ratlos. Dass es mal Gemecker und Gemotze gibt bin ich gewohnt. Das ist normal und gehört dazu. Aber in dieser absolut krassen Ausprägung, wie es momentan der Fall ist, habe ich das bislang noch nicht erlebt und ich rätsle über die Gründe. Meine Freundin schiebt es auf das migrantisch geprägte Großstadklientel, das ich in Freiburg und dem Westerwald in der Form vielleicht nicht hatte; meine Mutter meint, es läge allgemein daran, dass die Menschen in diesem Land und die Gesellschaft durch Corona und jetzt die Energiekrise allgemein unfassbar angespannt und aggressiv sei.
Jetzt hoffe ich auf Besserung nach meinem Urlaub. Im besten Fall hatte ich einfach nur großes Pech mit schwierigen Mannschaften. Im schlimmsten Fall waren meine Leistungen wirklich so schlecht, dass die üblen Reaktionen und Anfeindungen daher rührten. Falls letzteres der Fall ist, müsste ich mir wirklich Gedanken machen, da ich persönlich in meiner Spielleitung eigentlich keinen wirklich Unterschied zu früher erkennen kann und früher war es doch auch besser. So kann es auf jeden Fall nicht weitergehen, denn so macht es definitiv keinen Spaß und hat auch keinen Wert mehr.