Verlorene oder vergeudete Spielzeit

  • Folgende Situation:
    Mannschaft A liegt knapp in Führung, Mannschaft B ist eindeutig "am Drücker". Auf Basis übertriebener Motivation starten beim Anstoß von A mehrere Spieler von B deutlich zu früh in die gegnerische Hälfte. Wiederholung des Anstoßes ist klar, persönliche Strafe für meine Frage irrelevant, denn: Was ist das für Zeit? Muss ich die als "verloren" werten und nachspielen lassen oder hat diese Zeit Mannschaft B "verschuldet" und ist daher als "vergeudet" nachzuspielen (oder eben auch nicht)?

  • Eigentlich müsste man diese Zeit nachspielen lassen. Regel 7, Punkt 3 Nachspielzeit: [...]

    Zitat

    sämtliche sonstigen Gründe, einschliesslich etwaiger Verzögerungen bei der Spielfortsetzung (z. B. beim Torjubel)

  • Andererseits gilt aber doch der Grundsatz, dass die regelübertretende Mannschaft den größtmöglichen Nachteil erleiden soll - und das wäre hier eine Einstufung als vergeudete Spielzeit. Und es gibt den wesentlichen Unterschied, dass das Spiel hier fortgesetzt werden könnte und der Ball durch den Pfiff ja sogar freigegeben ist. Würde hier die ausführende Mannschaft unsportlich verzögern, hätte ich keinen Zweifel, dass ich diese Zeit vergeudete Spielzeit wäre ...

  • Da so ein Verhalten beim Anstoß ja nicht die Regel ist, sehe ich das als vergeudete Zeit, die somit in deinem Fall - bei Rückstand - nicht zusätzlich nachzuspielen ist.


    Als zum Torjubel gehörend kann ich das auch nicht bewerten. Wenn der SR den Anstoß durch Pfiff freigibt, sollte der Torjubel wohl abgeschlossen sein.

    In einer Aktion prallten Grevelhörster und Gerick zusammen. Der FC-Stürmer blutete aus der Nase, aber Schiedsrichter Stefan Tendyck aus Gelsenkirchen konnte mit einem Taschentuch aushelfen. Gericks Torriecher wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen: Er markierte das 1:3.


    Westfalen-Blatt (29.5.2017) :D

  • Na- ein Blick in die Regel 07 und Du hast die Antwort. Da die Regel 07 unter verlorener Zeit explizit "Verzögerungen bei der Spielfortsetzung" nennt und nicht differenziert, wer die Verzögerung verschuldet haben muss (könnte ja auch eine Drittperson gewesen sein zum Beispiel) ist die Zeit zwingend als "verloren" zu werten und somit zwingend nachzuspielen. Alles andere ist ein Regelverstoß.
    Soweit die Regel.


    In der Praxis sprechen wir hier von 5-10s; da sind alle anderen Faktoren (Auswechselungen, Torjubel, Disziplinarmaßnahmen) deutlich zeitintensiver. Somit spielt der Anteil, der durch die Wiederholung des Anstoßes dazukommen muss, in der Praxis keine Rolle.


    Nette Zwischenüberlegung, die durch einen Blick ins Regelheft beantwortet werden kann. Erledigt.

  • Da die Regel 07 unter verlorener Zeit explizit "Verzögerungen bei der Spielfortsetzung" nennt und nicht differenziert

    Das Regelwerk geht sicherlich davon aus, das dass die zurückliegende Mannschaft nicht unbedingt das Spiel verzögert, in der Praxis wirst Du die Nachspielzeit sicherlich nur beim Gegner sowie externen Einflüssen zur Anwendung bringen.

  • Ach BRiT, das ist sage und schreibe drei Mal im selben Spiel durch dieselbe Mannschaft passiert - in der Summe hätten wir schon ungefähr über eine Minute geredet, also einen Zeitraum, der nicht mehr so ohne Weiteres zu vernachlässigen ist. Konkret hatte ich kein Problem, da die andere Mannschaft dann auch immer sehr viel Zeit hatte, den Ball wieder zum Anstoßpunkt zu schaffen und auch mehrfach eine Ballannahme nach Abstoß/Freistoß im eigenen Strafraum hatte, letztlich egalisiert sich das in der Summe.


    Dennoch stellte ich mir in der Nachbetrachtung die Frage - Motto: Erwarte das Unerwartete - wie denn zu verfahren gewesen wäre, wenn ... Und ich bin in der Folge der Regel 5 ("Geist des Fußballs") letztlich der vergeudeten Zeit für beide Varianten (vorzeitige Ballannahme im eigenen Strafraum wie auch zu frühes Eindringen in die gegnerische Hälfte beim Anstoß) näher als dem Wortlaut der Regel 7, denn ganz streng genommen wurde in beiden Fällen das Spiel ja eigentlich bereits fortgesetzt (Anstoß ausgeführt bzw. Anstoß per Pfiff freigegeben, nur war der Ball im Moment des Regelverstoßes noch nicht im Spiel).

  • denn ganz streng genommen wurde in beiden Fällen das Spiel ja eigentlich bereits fortgesetzt (Anstoß ausgeführt bzw. Anstoß per Pfiff freigegeben, nur war der Ball im Moment des Regelverstoßes noch nicht im Spiel).

    ..deswegen steht in der Regel auch "Verzögerungen bei der Spielfortsetzung". Deine Fälle waren also von der Regel 7 abgedeckt. Und da gibt es kein Aussuchen, welche Regel Dir jetzt näher ist.
    Zwingend Nachspielen oder Du hast es falsch gemacht.
    Du hast eine klare Frage gestellt- jetzt leb mit der klaren Antwort.

  • Wieder einmal so eine Frage von Manfred, die zum Nachdenken anregen soll.


    Hierbei geht es auch wiederum nicht darum wie man etwas praktisch umsetzt, sondern, das man sich einfach mal versucht "digital" mit den Regeln auseinander zusetzen.
    Dabei fährt Manfred sogar einen wissenschaftlichen Ansatz indem er sogenannte "störende Einflüsse" in seiner Überlegung zunächst einmal ausschliesst.

    persönliche Strafe für meine Frage irrelevant,

    Zwar stellt sich die Frage nach der Relevanz von zusätzlichen 10 sec nachspielzeit im Fussball eher selten, da im Gegensatz zu anderen Sportarten kein Zeitnehmer an der Seitenlinie sitzt und wie bspw. im Basketball gnadenlos "auf die Hupe" drückt und das Spiel beendet.


    Wenn man jedoch einmal den Sinn von Manfreds Eingangsbeitrag weiter spinnt sind wir ganz schnell bei der inzwischen schonmal bei der von einigen FIFA Funktionären vorgeschlagenen "Netto-Spielzeit".


    Irgendwann einmal hat mein ehemaliger Lehrwart gesagt, daß man Spielunterbrechungen mit "Augenmaß, Daumenregel, und Erfahrung" als Nachspielzeit hinten anhängen sollte und dabi natürlich die Regel der verlorenen und vergeudeten Zeit nicht aus den Augen verlieren darf. Für Auswechselungen und Anstoß nach Tor empfahl er seinerzeit immer etwa 30sec anzusetzen und nur bei verletzungsbedingten Unterbrechungen genauer auf die Uhr zu sehen. Nachdem dann eine SPINTSO mein Handgelenk zierte hab ich das dann mit der Stoppfunktion überprüft und kam tatsächlich auf 25-35 sec für Auswechselung- und Anstoßunterbrechungen.


    Auch wenn wir hier nur über wenige sekunden reden ist Manfreds Frage durchaus berechtigt, denn VIEL von WENIG ist in Summe auch VIEL. Wenn wir nämlich den Gedanklen weiter spinnen, gibt es vielerlei ähnlich gelagerte Situationen, bei denen zwar das Spiel durch Pfiff (sofern notwendig) freigegeben wurde aber mangels (korrekt) durchgeführter Spielfortsetzung eben noch nicht fortgesetzt ist.


    • Der K(r)ampf mit dem Abstand bei Freistössen
    • Abstände bei Einwürfen und Eckstössen
    • Der Trick mit dem Abstoß
    • Vom Trick mit der Auswechselung ganz zu schweigen.


    Dinge, die im Einzelfall betrachtet, meist "keine Karte Wert" sind oder bei denen auf eine Verwarnung verzichtet wird. Aber die bei konsequenter Anwendung sich schnell zu ein bis zwei Minuten addieren.


    Somit möchte ich hierbei gerne BRiT in der Regelanwendung folgen:

    Da die Regel 07 unter verlorener Zeit explizit "Verzögerungen bei der Spielfortsetzung" nennt und nicht differenziert, wer die Verzögerung verschuldet haben muss

    Dennoch möchte ich anmerken: Das Spiel wird nicht mit dem Pfiff, sondern mit der korrekten Ausführung der Spielfortsetzung fortgesetzt. Der Pfiff kündigt lediglich an, das das Spiel seitens des SR fortgesetzt werden darf.


    An anderer Stelle haben wir bereits einmal festgestellt das der Beginn eines Spieles die korrekte Anstoßausführung ist. Nicht der Pfiff des SR - und erst dann läuft auch die Zeit.

  • Nur mal zur Ergänzung:
    Ich habe gestern unseren Lehrwart samt Stellvertreter gefragt, die beide einhellig der Meinung "vergeudet" waren ...

  • In der Frage fehlt noch der Hinweis, ob wir uns noch in der ersten oder schon zweiten Halbzeit befinden. Ende der ersten Halbzeit können wir noch gar nicht wissen, wem diese vergeudete Zeit schlussendlich fehlen wird, sodass sie grundsätzlich nachgespielt werden sollte. :D


    Wobei ich mir hier wieder den SR mit den vier Uhren vorstelle: Eine für die Bruttozeit, eine für die verlorene Zeit sowie jeweils eine für die vergeudete Zeit von Heim und Gast, um dann auf obligatorische exakte 120 oder 180 Minuten Nachspielzeit zu kommen. 8)

  • Ich habe gestern unseren Lehrwart samt Stellvertreter gefragt, die beide einhellig der Meinung "vergeudet" waren ...


    Schön, dass die Herren eine "Meinung" haben. Die Regel sagt etwas anderes (siehe oben).


    Vielleicht sollten wir genauer zwischen Theorie und Praxis unterscheiden. Und in der Praxis kann man "Meinungen" haben- für die Theorie muss man (meistens) nur lesen können.

  • Tja BRiT, das Erstaunliche war, dass ich sie ausdrücklich auf die Formulierung im Regelwerk aufmerksam gemacht hatte, sie aber der Auffassung waren, dass es dem Geist des Fußball widerspräche, die regelübertretende Mannschaft durch zwanghaftes Nachspielen auch noch gewissermaßen zu begünstigen (die lag ja zurück).

  • Geist des Fußball [...] regelübertretende Mannschaft durch zwanghaftes Nachspielen auch noch gewissermaßen zu begünstigen (die lag ja zurück).

    Wenn die Mannschaft sich durch ihre eigene Trödelei benachteilligt - also durch das wie auch immer geartete "Zeitspiel" - ihren Nachteil noch vergrössert ist es richtig diese Zeit nicht nachspielen zu lassen.


    Bin dazu mal gefragt worden wie dieses Zeitspielen denn Spielübergreifend gehandhabt werden muss.

    • Bei Entscheidungsspielen mit Hin- und Rückspielen (Bspw. UEFA Cup KO-Runde) kann im Rückspiel die zurückliegende Mannschaft schliesslich trotz Rückstandes wegen des Gesamt-Torverhältnisses im Vorteil sein.
    • Gehts im "letztem Saisonspiel" um Meisterschaft, Auf- oder Abstieg kann es sein, das man zwar verlieren darf, aber nicht mit mehr als einer bestimmten Tordifferenz - oder eben mit bestimmtem Torverhältniss gewinnen muss. Wenn die beiden Tabellennachbarn dann noch aufeinander treffen ist auch die zeitgleiche Austragung der Meisterschaftsspiele wenig hilfreich.

    Es hilft dann wenn man sich als SR vor augen führt, das man NUR für dieses Spiel zuständig ist und auch NUR in diesem Spiel für ein Ergebnis verantwortlich ist. Für alles andere ist der Verband zuständig der den Austragungsmodus festlegt.


    Wobei ich mir das ehrlich gesagt bei KO-Runden mit Rückspielmodus nur sehr schwer vorstellen kann. Das Hinspiel beeinflusst schliesslich die Fortsetzung des Rückspiels nach 90 Minuten und somit sollte das "Zeitschinden" in die Bewertung mit einfliessen auch wenn die Mannscjhaft für DIESES EINE SPIEL keinen Vorteil hat.

  • sie aber der Auffassung waren, dass es dem Geist des Fußball widerspräche, die regelübertretende Mannschaft durch zwanghaftes Nachspielen auch noch gewissermaßen zu begünstigen


    Also erstens wird die Mannschaft nicht begünstigt (ihr geht ja zunächst einmal Zeit verloren, sie sie durch Nachspielen höchstens "zurück" bekommt) und zweitens kommt es darauf laut Regel gar nicht an. Aber das schrieb ich oben bereits- durch Ignorieren und Befragen weiterer Personen, die nicht im Regelheft nachschlagen, ändert sich am Sachverhalt nichts.


    Nochmal: Bei einer Anwärter-Regeltestfrage ist die Zeit gemäß Regelheft klar definiert als verlorene Zeit.


    Was man in der Praxis daraus macht ist etwas anderes.


    Man kann die Dinge auch unnötig verkomplizieren.