Ungleichbehandlung Anstifter - Täter

  • Das Strafgesetzbuch ist in diesem Punkt eindeutig: Der Anstifter steht dem Täter gleich. Gut, mein Problem ist etwas anders, aber doch ähnlich:


    Ich denke, wir alle kennen die Situation, in der es zu einem Vorfall kommt (gröberes Foul, unsportliche Provokation o.ä.), der nach dem Regelwerk ohne jede Ausnahme mit einer Verwarnung zu bedenken ist. Und wir kennen wohl auch alle die Situation, dass es nach einer solchen Aktion auch leicht zu einer Revanche, im Regelfall in Form einer Tätlichkeit oder einer Beleidigung kommt, wofür wir nach dem Regelwerk zwingend Rot zeigen müssen. Rein formal alles in Ordnung, wirklich befriedigend ist das aber nicht.


    Ich habe da noch immer einen Fall vor Augen, der mich bis heute noch beschäftigt: Heim geht 2:0 in Führung, Gast holt auf und zieht mit 2:3 davon. Bei angezeigten 3 Minuten Nachspielzeit befinden wir uns in der letzten Minute der Nachspielzeit, Heim ist im Angriff. Nahe der Mittellinie kommt es zu einem Foul an einem Spieler von Heim, keine große Sache, Freistoß und fertig. Um die (gewollte) schnelle Ausführung zu verhindern, greift sich ein Spieler von Gast den Ball und läuft damit weg - und ein Spieler von Heim hinterher, der den weglaufenden Spieler fängt, mit beiden Armen umfasst und umreißt, zwar ohne Zweifel um an den Ball zu kommen, aber eben der Klassiker einer Tätlichkeit. Was passiert: Der Umreißer darf den Platz mit Rot verlassen, der Flüchtling bekommt nur Gelb (in diesem Fall wegen einer Vorverwarnung Gelb-Rot), regeltechnisch alternativlos aber keineswegs befriedigend. Dabei tröstet es auch nicht, dass der Rotsünder aufgrund des Berichtes sicher nur die Mindestsperre bekommen hat, mich stört, dass der eigentliche Anstifter, Provokateur oder wie auch immer wir das nennen wollen, mit letztlich 20 verpassten Sekunden so glimpflich davon kam, obwohl er m.E. der eigentliche Haupttäter war.


    Habe ich da im Regelwerk etwas verpasst oder ist das wirklich so ungerecht?

  • Erstmal vorne weg: Provokationen sind subjektiv. Der eine fühlt sich provoziert, der andere nicht.


    Wie würdest du es anders regeln? Wenn ein Schläger vorher provoziert wurde dem anderen auch rot geben? Dann bestrafst du den Provozierer für die Reaktion seines Gegenübers. Macht der nichts, bekommt er auch keine Karte. Reagiert der auch unsportlich gibt es Gelb. Rastet der aus muss man für das gleiche Vergehen runter? Passt in meinen Augen nicht.


    Ich sehe in dem geschilderten Fall eher das Problem das der Spieler wohl kein Vertrauen darein hatte, dass die Situation entsprechend nachgespielt wird. Zudem hättest du als SR eventuell schneller eingreifen können (Stotterpfiff, rufe) um dem Spieler direkt zu vermitteln das du die Situation lösen wirst. Dann muss der garnicht erst auf den Spieler drauf.


    Aus meiner Sicht muss an dieser Stelle im Regelwerk nichts geändert werden. Einige Spieler müssen nur ihre Emotionen besser in den Griff bekommen und wir als SR müssen schneller auf die Ansätze dieser Situationen reagieren.

  • Ich sehe das genauso wie flitzpiepe und verstehe auch nicht, was an der geschilderten Situation unbefriedigend sein soll. Wenn ein Spieler den Ball A wegträgt und damit die Ausführung des Freistoßes verzögert, ist das unsportlich und damit zu verwarnen. Dass er damit aber objektiv gesehen eine Tätlichkeit provoziert, sehe ich nicht. Der große Teil der Spieler würde sich eher an den SR wenden und bei diesem heftig reklamieren. Das wäre für mich als SR in der Situation auch in Ordnung und würde, sofern die Reklamation im Rahmen abläuft, keine pers. Strafe nach sich ziehen. Dass einzelne Spieler sich durch solche Aktionen zu Tätlichkeiten oder Frustfouls hinreißen lassen, ist nicht das Problem des SR und auch nicht das Problem des Provozierenden. Diese Spieler müssen sich auch in hektischen Phasen besser unter Kontrolle haben und ihnen dürfen solche Tätlichkeiten, Frustfouls oder Beleidigungen eben nicht passieren. Ich sehe gelb für Provokateur, Rot für den Tätlichwerdenden daher als absolut angemessen an.


    Dass es für gelb-rot in diesem Fall nur zu 20 Sekunden verpassten Spiels führt, ist ein Problem des Hessischen Fußballverbandes und nicht der Fußballregeln. In anderen Verbänden (DFB-Ebene, FSA und sicher einige weitere) führt die GRK zu einem Spiel Sperre und ist damit keineswegs bedeutungslos.


    (Dein Vergleich zum StGB ist natürlich vollkommen unpassend, denn ein Provokateur ist was vollkommen anderes als ein Anstifter. Wenn ein Spieler zu seinem Mitspieler sagt: "Ey, hau der Nummer 10 mal eins auf Maul", dann stiftet dieser Spieler seinen Mitspieler an. Und was ist die einzig korrekte Konsequenz, wenn dieser Spieler dann tatsächlich zuschlägt? 2x Rot! Aber jemand, der unsportlich agiert, stiftet seinen Gegenspieler doch nicht zu einer Tätlichkeit an?!)

  • Zur Klarstellung: So schnell wie das ging, konnte ich gar nicht eingreifen. Pfiff für den Freistoß, Griff nach dem Ball, Griff nach dem Spieler, es gab auch nicht den Versuch einer Reklamation. Ich war etwa 10 Meter entfernt und hatte meine Pappenheimer ganz schnell wieder an der Leine - dennoch war an eine schnelle Freistoßausführung natürlich nicht mehr zu denken und eine eventuell mögliche Torchance, die sich aus einer schnellen Ausführung hätte ergeben können, natürlich auch nicht mehr restaurierbar, mehr als Gelb-Rot für den vorbelasteten Greifer eben nicht drin. Der Umstand, dass dieser Spieler nur noch 20 Sekunden versäumt hat, liegt nicht am Hessischen FV oder an mir, aber das war die Restspielzeit zum Zeitpunkt des Vorfalls - und ich sehe keine regeltechnische Grundlage, mehr als diese noch ausstehende Zeit nachspielen zu lassen, auch wenn das de facto natürlich mehr Zeit in Anspruch nahm. Der den Ball greifende Spieler hatte für meine Begriffe eine sehr gute Auffassungsgabe, mich befriedigt nicht, dass es in diesem Fall keine andere Strafe für ihn geben kann - und er im Gegensatz zum anderen Spieler auch im nächsten Spiel wieder mitspielen darf. Natürlich war der andere Spieler dumm, den Ballklauer so anzugehen und hat sich die Denkpause redlich verdient, ohne Ballklau wäre das aber nicht passiert und es hätte womöglich sogar zum Ausgleich gereicht. Ist es wirklich so schwer verständlich, dass ich die unterschiedlichen Strafen hier als ungerecht empfinde?

  • Wie möchtest du es denn anders handhaben?


    Wie ich schon geschrieben habe ist es aus meiner Sicht nicht gerechter, wenn der Provokateur die gleiche Strafe bekommt wie der Schläger. Was würde daraus entstehen? Sobald der Star der Mannschaft einmal "provoziert", wird der nächst beste Gegenspieler sich schnell eine Tätlichkeit leisten. Dann sind zwar beide draussen, der anderen Mannschaft schadet der Verlust des Stars aber mehr als das fehlen eines Mitläufers.


    Und natürlich ist die fehlende mittelfristige Bestrafung ein Problem in Hessen. Wenn es bei Gelb/Rot 1 Spiel Sperre geben würde, dann hätte der seine Bestrafung, genauso wie wenn es nach 5x Gelb 1 Spiel Sperre gibt.


    Ich lasse bei so Situationen (deutliches Zeitspiel in der Nachspielzeit) gerne auch nochmal 1 Minute extra laufen. Nur wenn man den Spielern ihr verhalten vor Augen führt kann man eine Änderung herbei führen. Der Balldieb nimmt jetzt für sich mit: "Ok, alles richtig gemacht. SR hat pünktlich abgepfiffen und ich stand als erstes unter der warmen Dusche." Hättest du noch 1 Minute drauf gegeben in der eventuell noch eine Chance entstanden wäre hätte er es sich eventuell anders überlegt für die Zukunft.


    Fangt jetzt bitte nicht mit fehlender Regelgrundlage an. Die Zeitfeststellung ist eine Tatsachenentscheidung. Natürlich kann das ganze auch schief gehen, da gerade in der Nachspielzeit oftmals hektische Situationen entstehen. Da muss man sein Spiel eben für einschätzen können.

  • @ flitzpiepe: Ich sehe Deine Vorgehensweise auch vollkommen von den Regeln gedeckt. Der SR darf die angezeigte Nachspielzeit zwar nicht verkürzen, aber durchaus verlängern, insbesondere eben bei Zeitspiel in der Nachspielzeit. Ich mache davon auch regelmäßig Gebrauch.

  • Ich empfinde die Bestrafung mit der gelben Karte wegen des Zeitschindens und die rote Karte aufgrund der Tätlichkeit für völlig gerecht.


    Wenn man es strafrechtlich betrachtet, gilt: Der Anstifter muss auch Vorsatz bzgl. der Haupttat haben.


    Überträgt man das auf den hierigen Fall, bedeutet dies, dass der mit Gelb zu verwarnende Spieler Vorsatz bzgl. der Tätlichkeit des Gegenspielers haben müsste. Ein Spieler, der versucht das Spiel auf unsportliche Weise zu verzögern, wird sich aber regelmäßig gar keine Gedanken darüber machen, ob der Spieler tätlich reagiert. Mitunter handelt es sich bei einer derartigen Tätlichkeit um eine Kurzschlussreaktion, die Ausnahmecharakter besitzt. Gewöhnlicherweise wird die unsportliche Verhaltensweise sanktioniert und die verloren gegangene Zeit nachgespielt. Nur selten reagiert der Gegenspieler tätlich.


    Aus meiner Sicht überzeugt die Bestrafung aber auch, wenn man sich das verwirklichte "Unrecht" vor Augen führt. Es macht eben einen qualitativen Unterschied, ob ich lediglich Zeit schinden, oder gegenüber meinem Gegenspieler tätlich in Erscheinung treten möchte.


    Es darf weder im echten Leben, noch im Fussball ausreichen, dass eine Person eine, die sich im Erfolg niederschlagende, Gefahr begründende Situation geschaffen hat. Sonst müssten wir den Stürmer, der im Strafraum durch den Torwart gefoult wurde, dafür bestrafen, dass er überhaupt in den Strafraum lief. Nicht überzeugend.


    Fazit: Gelb und Rot sind jeweils wertungsmäßig völlig überzeugende Entscheidungen.

  • Ich verstehe das Unwohlsein deinerseits durchaus, als Provokation würde ich diese Situation allerdings nicht sehen, sondern lediglich als Zeitspiel bzw taktische Unterbrechung da kannst du natürlich nur Gelb geben, wenn überhaupt gibt es höchstens die Möglichkeit bei dem Stürmer das ganze nicht als Tätlichkeit zu werten, da sein Ziel ja offensichtlich nur der Ball war und die Attacke auch eher nicht überhart war, ich habe die Szene jetzt natürlich nicht gesehen, es erinnnert mich aber so ein wenig an diese Szenen nach Toren wo der TW den Ball erstmal festhält und ihm den jemand aus der Hand reisst und da gab es auch noch nie einen Platzverweis.


    Interessant finde ich hier die Formulierung in den Regeln zur Tätlichkeit:


    "Eine Tätlichkeit liegt vor, wenn ein Spieler einen Gegner abseits des Balls über-
    mäßig hart oder brutal attackiert."


    Wertest du das ganze also nicht als übermäßig hart, kannst du auch keine RoteKarte geben.

  • Äh, wenn jemand einen anderen Spieler umklammert und umreißt, dann ist das für mich eine Tätlichkeit - der "gute" Wille heiligt nicht die Mittel. Und eine weitere Spielminute hätte nichts gebracht, nach dem Freistoß kam der Gegner in Ballbesitz und war schon wieder auf dem Weg in Richtung gegnerisches Tor - und noch ein Tor auf dieser Seite wollte ich nun definitiv nicht riskieren.


    Das ich regeltechnisch richtig gehandelt habe, ist mir durchaus klar; wohl gefühlt habe ich micht dennoch nicht. Irgendwie finde ich es ungerecht, dass der Verursacher gewissermaßen besser wegkam. Übertragen: Wenn einer verbal, aber nur verwarnungswürdig provoziert, so ist der, der als Reaktion darauf zuschlägt, natürlich dumm, aber eben auch der Dumme, weil er Rot, der andere Spieler aber nur Gelb bekommt; gerecht sieht aus meiner Sicht anders aus. Dennoch ist vollkommen klar, wie die Entscheidung auszusehen hat ...

  • Zitat

    Wenn einer verbal, aber nur verwarnungswürdig provoziert, so ist der, der als Reaktion darauf zuschlägt, natürlich dumm, aber eben auch der Dumme, weil er Rot, der andere Spieler aber nur Gelb bekommt; gerecht sieht aus meiner Sicht anders aus.


    Tut mir Leid, aber da scheint unser Gerechtigkeitsempfinden einfach sehr extrem auseinander zu liegen.

  • Im Jugendbereich löse ich so was gerne mit der Zeitstrafe wenn man denn es rechtfertigen kann - dh. Gelb und Rot wird zu Gelb und 5 Min oder 5 Min und Rot. Aber dann gibts auch Sachen wo man keine Wahl hat, z.b. hier: Ball wegtragen = Zeitspiel = Gelb, aber nicht mehr und klare Tätlichkeit = zwingend Rot.


    Aber die Regeln sind doch klar - ich glaube im Eishockey gibt es eine Zusatzstrafe für "Anstiften", bei uns eben nur die generelle Unsportlichkeit und die ist nur Gelb. Wenn da sich jemand zu einem rotwürdigem Vergehen hinreißen lässt - Pech gehabt. Im besten Falle kann man dem Anstifter noch Gelb, Gelb-Rot reindrücken, z.b. wenn er nach einen gelbwürdigem Foul noch weiter provoziert.

  • Also da sehe ich eine falsche Kausalitätskette.


    Der Verursacher dieser Situation ist nicht der Ballwegtrager, sondern der andere Spieler selbst. Er ist der klare Aggressor und geht einen anderen Spieler an.


    Wenn ich im Parkverbot fix auslade und der Ticketschreiber schreibt nicht, sondern vermöbelt mich, kommt doch auch keiner auf die Idee mir die gleiche Strafe aufzubrummen, weil ich es ausgelöst habe. Mein nächstes Beispiel ist hart, aber ähnlich: Zitat aus ner Kneipe: "Wenn man sich so anzieht, muss man sich nicht wundern, dass die Männer zugreifen." Der Täter ist der Schuldige und niemand sonst. In deinem Fall und in meinen Beispielen.


    Um ein fußballtechnisches Beispiel zu sagen: Alles auf dem Platz würde nicht passieren, wenn wir nicht anpfeifen würden. Machen wir aber trotzdem :)