Irrtum korrigieren - fragt sich nur wie?

  • Folgende Situation:


    Ein Angreifer erhält im gegnerischen Strafraum von einem Mitspieler einen Pass, steht dabei aber im Abseits. Noch bevor der Schiedsrichter pfeift wird der Spieler von einem Verteidiger in einer verwarnungswürdigen Art gefoult, die Situation an sich stellt aber eine klare Torchance dar. Der Ball geht daraufhin ins Toraus, daraufhin pfeift der Schiedsrichter wegen der Abseitsstellung und zeigt dem foulenden Verteidiger die Gelbe Karte. Daraufhin reklamiert der Angreifer, dass ein Verteidiger nahe der Eckfahne steht, der das Abseits aufgehoben hätte und den der SR übersehen hat. Wie wäre zu entscheiden?


    Irgendwie finde ich die Situation sehr vertrackt:


    Spielfortsetzung:
    Der Pfiff erfolgte, der ersten Wahrnehmung des SR entsprechend, wegen der Abseitsstellung. Hierfür hätte es idF geben müssen, wobei der SR jedoch wegen seines deutlichen Fehlers korrigieren muss. Diese Korrektur kann m.E. jedoch nicht in einem posthumen Vorteil, sondern nur im SR-Ball bestehen - oder etwa doch Strafstoß?


    Persönliche Strafe:
    Ebenso konfus ist die persönliche Strafe: Für die Verhinderung der klaren Torchance müsste es eigentlich Rot geben. Da der SR aber von einer Abseitsstellung ausgegangen ist, bleibt zunächst nur das verwarnungswürdige Foul und Gelb wäre richtig. Nun liegt aber der Fehler beim SR, weil die Abseitsstellung eindeutig nicht vorlag - muss dann die Gelbe zurückgenommen und doch die Rote Karte verhängt werden, weil es ja doch die Verhinderung einer klaren Torchance war - oder bleibt es bei Gelb, weil sich der SR-Irrtum nicht mehr auswirkt?

  • Spontan würde ich sagen, ohne groß drüber nachzudenken, dass die Verwarnung keineswegs zurückgenommen werden kann. Das Foul liegt schließlich vor, unabhängig davon, ob man die Spielsituation falsch bewertet hat. Nachträglich auf Feldverweis kann man prinzipiell ja immer, sofern das Spiel noch nicht fortgesetzt ist...aber in diesem speziellen Fall? Da bin ich überfragt.


    Aufgrund des falsch bewerteten Abseits kann es, meiner Meinung nach, nur die SPielfortsetzung Schiedsrichterball geben und keinen Strafstoß...

  • Als SR muß ich m.E. alle Möglichkeiten ausschöpfen, eigene Fehler legal zu korrigieren, ergo: Strafstoß, FaD
    Alles andere wäre kein fahrlässiger, sondern ein vorsätzlicher Regelverstoß mit allen Konsequenzen.


    SR-Ball nach SR-Fehler gibt es dann, wenn Weiterspielen die richtige Entscheidung gewesen wäre, die aber durch die Unterbrechung mit Pfiff nicht mehr angewendet werden kann.

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

    Einmal editiert, zuletzt von almiko ()

  • In der Praxis möchte ich so einen Fall nicht haben, weil man dann richtig viele "Freunde" auf dem Platz hat, aber in der Theorie darf der SR m.E. sowohl persönliche Strafe als auch Spielfortsetzung korrigieren, wenn er einen Irrtum erkennt und der Pfiff keinen Einfluss auf die Spielsituation vor dem Pfiff hatte. Und es steht nirgends geschrieben, dass die Korrektur immer SR-Ball sein muss. Also Rot und Strafstoß müssten regeltechnisch möglich sein.

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.

  • Womöglich wäre aber genau die Korrektur der Regelverstoß.


    Genau das ist es ja: Statt "Abseits" wäre weiterspielen die richtige Entscheidung gewesen, das Foul kommt ja erst nach der vermeintlichen Abseitsstellung. Und Deine Argumentation greift ohnehin nicht, da der Ball zum Zeitpunkt des Pfiffs bereits aus dem Spiel (da im Aus) ist.


    Der üblichen Logik folgend hat ein SR das erste Vergehen zu ahnden, soweit nicht in unmittelbarer Folge ein schwereres Vergehen durch die gleiche Mannschaft begangen wird und der Ball noch im Spiel ist. Das erste Vergehen ist hier die zweifelsfreie Abseitsstellung, ergo muss diese auch geahndet werden. Sicher ist es ungünstig, dass sich diese in der Nachbetrachtung als falsch herausstellt, dennoch muss diese Fehlentscheidung, welche der SR womöglich auch durch Zeichen signalisiert hat, durch SR-Ball korrigiert werden; eine nachträgliche Entscheidung auf Vorteil, um so auf Strafstoß erkennen zu können, empfände ich als regeltechnisch nicht zulässig. Müssen wir hier nicht als Maßstab den "idealen" Schiedsrichter ansetzen, der eben sofort gepfiffen hätte? Für mich kann es daher nur den SR-Ball geben, alles andere müsste man mir wirklich anhand des Regelbuches belegen.


    Schwieriger finde ich die Frage nach der persönlichen Strafe. Unter der Voraussetzung, dass tatsächlich eine Abseitsstellung vorlag, kann es eben keine klare Torchance sein, ergo ist die Verwarnung für das verwarnungswürdige Foul korrekt. Und natürlich wäre es zunächst regeltechnisch zulässig, bis zur Spielfortsetzung diese Verwarnung zurückzunehmen - nur bin ich mir nicht klar darüber, ob es zulässig wäre, statt der Verwarnung dann den FaD zu verhängen, war das Spiel doch de jure, nur eben nicht de facto unterbrochen. Und wenn ich die Unterbrechung des Spieles (wegen der Abseitsstellung) unterstelle, so muss es hier bei der Verwarnung bleiben.


    Dass man das auf dem Feld in der Praxis womöglich anders löst - zur Zufriedenheit aller Anwesenden - ist ausdrücklich nicht Gegenstand der Überlegung, hier geht es nur darum, was rein regeltechnisch richtig wäre.

  • 1. Der ideale SR hätte von Vornherein erkannt, dass es kein Abseits ist.
    2. Es gibt in dieser Regelfrage m.E. überhaupt keinen Vorteil und keine Vorteilsanwendung.

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    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


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  • Manfred: Rot und SR-Ball geht m.E. auf gar keinen Fall, denn wenn man die Spielstrafe nicht auf Strafstoß korrigieren darf, dann macht der SR die klare Torchance mit seinem falschen Abseitspfiff zunichte, und man kann den Verteidiger dann nur noch für die Härte des Fouls bestrafen.


    Ich bin aber nach wie vor für Korrektur der Entscheidung, da im Regelbuch m.E. steht, dass das Spiel unterbrochen wird, wenn der Ball das Feld vollständig verlassen hat, oder wenn der SR pfeift. Und da der Pfiff erst nach dem Foulspiel erfolgte, war der Ball in diesem Moment noch im Spiel.


    Edit: Der Fall Malbranc in der Bundesliga der 80er/90er Jahre müsste als Beispiel für einen solchen Fall dienen können. Da hat der SR fälschlicherweise in einen Torschuss hineingepfiffen und nach dem Erkennen seines Irrtums das Tor gegeben. Da wurde wochenlang diskutiert, ob der Pfiff erfolgte, bevor der Ball im Tor war (Anerkennen des Tores = Regelverstoß) oder erst danach (Korrektur der Entscheidung möglich). Die ganze Diskussion hätte man sich schenken können, wenn der Augenblick der Wahrnehmung das Spiel regeltechnisch unterbricht. Dann wäre es nämlich auf jeden Fall ein Regelverstoß gewesen...

    Der Klügere gibt nach.


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    Einmal editiert, zuletzt von Ente () aus folgendem Grund: Beispiel ergänzt

  • Korrektur des vorigen Beitrages nicht mehr möglich, deshalb hier die Ergänzung:


    http://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Malbranc


    Zitat

    Am 2. Spieltag der Saison 97/98 führte der TSV 1860 München gegen den Karlsruher SC in der 88. Minute mit 2:1, als der Karlsruher Sean Dundee ein Tor erzielte. Obwohl Malbranc unmittelbar vor dem Torschuss das Spiel mit einem Pfiff unterbrochen hatte, erkannte er das Tor anschließend an. Malbranc gab an, er habe "die Wahrnehmung gehabt, erst nach dem Tor gepfiffen zu haben".

    Der Klügere gibt nach.


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  • Das klärt einen Teil der Frage, vielen Dank. Dennoch ist der Fall aber nicht vollständig mit dieser Szene vergleichbar, denn letztlich eröffnet dies dem Schiesrichter die Möglichkeit der Korrektur, sie ist aber keinesfalls zwingend, da der ursächliche Fehler erst nach dem Pfiff erkannt wird. Demnach könnte es wohl so sein, dass beide Varianten - also SR-Ball und Gelb sowie alternativ Strafstoß und Rot - regeltechnisch richtig sein könnten.


    Mit der Einschätzung, dass SR-Ball und Rot nicht zusammenpassen, sind wir vollkommen einig.

  • 2 Dinge sollte man unterscheiden: Nimmt der SR seinen Fehler selbst direkt wahr, halte ich es für richtig, die Entscheidung unmittelbar zu korrigieren. Dann sprechen wir aber nur davon, den Abseitspfiff in einen Strafstoß umzuwandeln und rot zu geben - akzeptabel.


    In der von Manfred geschilderten Situation ist das schwierig, da aus meiner Sicht ein zeitlicher Verzug vorliegt. Du pfeifst, dann sprichst Du die Verwarnung aus und wirst danach von einem Spieler darauf aufmerksam gemacht, dass da irgendwo noch ein Spieler, den Du eigentlich nicht wahrgenommen hast, das Abseits aufheben soll. Ich wäre mir da sehr unsicher, ob das wirklich so war und würde niemals meine Entscheidung (Gelb/ind. FS) in einen Strafstoß und eine RK "korrigieren".

  • Den Gedanken hatte ich auch schon, d.h. ich darf mich als SR nur korrigieren, wenn ich mir sicher bin, einen Fehler gemacht zu haben. Dazu kommt es im o.g. Fall darauf an, wie groß der Zeitabstand zwischen Pfiff und Entdecken des Verteidigers nahe der Eckfahne war.

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

  • Am 2. Spieltag der Saison 97/98 führte der TSV 1860 München gegen den Karlsruher SC in der 88. Minute mit 2:1, als der Karlsruher Sean Dundee ein Tor erzielte. Obwohl Malbranc unmittelbar vor dem Torschuss das Spiel mit einem Pfiff unterbrochen hatte, erkannte er das Tor anschließend an. Malbranc gab an, er habe "die Wahrnehmung gehabt, erst nach dem Tor gepfiffen zu haben".


    Hier mal das Video dazu. Bei 14 min 40 sec fängt es an.


    https://www.youtube.com/watch?v=dIXCO4o0g-0&feature=related

  • In der von Manfred geschilderten Situation ist das schwierig, da aus meiner Sicht ein zeitlicher Verzug vorliegt. Du pfeifst, dann sprichst Du die Verwarnung aus und wirst danach von einem Spieler darauf aufmerksam gemacht, dass da irgendwo noch ein Spieler, den Du eigentlich nicht wahrgenommen hast, das Abseits aufheben soll. Ich wäre mir da sehr unsicher, ob das wirklich so war und würde niemals meine Entscheidung (Gelb/ind. FS) in einen Strafstoß und eine RK "korrigieren".


    O.k., aber da Manfred in der Überschrift davon schreibt, dass er einen "Irrtum korrigieren" will, war für mich schon klar, dass der Verteidiger tatsächlich das Abseits aufgehoben hat. Wenn ich auch nur den Hauch eines Zweifels habe, bleibt meine Entscheidung natürlich bestehen und ich sage den Spielern das auch so: "Tut mir leid, aber entscheidend ist, wo der Verteidiger bei der Ballabgabe war, und das habe ich nicht gesehen. Deshalb muss es beim indirekten Freistoß bleiben."

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.