Ich bin grade ehrlich gesagt ein bisschen überrascht, wie so ein harmloses Thema zu einer Grundsatzdiskussion wird. Um mal ganz kurz auf das ursprüngliche Thema zu kommen: Stellt euch das doch einfach mal bildlich vor....
[Film ab, Take 1]
Freistoß für Verteidiger im eigenen Strafraum, knapp hinter der Strafraumlinie. Spieler läuft an. In der Nacht hat es geregnet, der Platz ist etwas feucht. Er tritt in eine kleine, schlammige Pfütze. Spieler rutscht beim Schussversuch aus. Aus einem geplanten langen Ball wird ein Kullerball, weit und breit keine Angreifer in Sicht. Der Spieler liegt am Boden. Gelächter rund um den Sportplatz. Mit hochrotem Kopf steht der Spieler auf, nimmt den Ball außerhalb des Strafraums auf und trägt ihn zur erneuten Ausführung in den Strafraum zurück.
[Uuuuund Cut! Film Ende]
Ich denke, wir sind uns einig, dass trotz Ausrutschen der Freistoß regelkonform ausgeführt wurde: Ball wurde absichtlich (!) gespielt und gelangt außerhalb des Strafraums. Aber mal ehrlich: Ja, er darf den Ball nicht einfach mit der Hand aufnehmen, da eine Wiederholung des Freistoßes ausgeschlossen ist. Aber will man wegen einem solchen Vergehen einen Strafstoß verhängen? Der Strafstoß ist die härteste Spielstrafe, die das Regelwerk vorsieht. Den wollen wir hier reininterpretieren aufgrund einer Lappalie? Sorry, ich kann mich der Meinung nicht anschließen. Es ist hier kein Fall von Unsportlichkeit oder taktischem Vergehen, das fällt für mich in die Kategorie "Versehen, dumm gelaufen".
Wenn ein Spieler einen aussichtsreichen Angriff bewusst mit einem Handspiel unterbindet (wie z.B. dieses Flankenbeispiel aus Post #28), dann reden wir doch von einer völligen anderen Absicht dahinter. Und ja, ich bewerte Vergehen danach, welche offensichtliche Handlungsabsicht vorliegt - und in so einem Fall ist es für mich offensichtlich. Ob es jetzt Schreck, Unwissenheit oder simpler Affekt ist, ist mir hierbei egal - Tatsache ist nur, dass ich einem Spieler hier mit Sicherheit keine böswillige taktische Absicht unterstelle und mit ein bisschen Logik sollten wir die Regeln umsetzen.
Rein regeltechnisch: Im Regelheft steht, dass das strafbare (also absichtliche) Handspiel an der Stelle geahndet wird, an der es begangen wurde. Bei dem Torhüter also ganz klar: Er trägt/hält/führt den Ball mit Händen innerhalb des Strafraums regelkonform, erst beim Verlassen wird es strafbar, also ist das der entscheidende Punkt für die Ausführung. Fakt ist aber: Regeltechnisch gibt es kein "erlaubtes oder unerlaubtes Handspiel". Es ist nur verboten, denn Ball absichtlich mit der Hand zu berühren - nur auf Torhüter im eigenen Strafraum wird die Regel nicht angewandt. Von daher macht es schon einen Unterschied - denn was vorher im Strafraum ist, ist völlig irrelevant. Es ist kein fortgeführtes Handspiel, sondern erst beim Verlassen des Strafraums wird es zu einem absichtlichen Handspiel.
Back to topic: Der Freistoßschütze berührt den Ball außerhalb des Strafraums erstmalig und die Frage ist: Ist das weitere Tragen ein fortgesetztes Vergehen? Das Regelwerk definiert es meines Wissens nicht, grundsätzlich bin ich aber der Meinung, dass normalerweise der erste Kontaktpunkt ausschlaggeben sein sollte - aber es ist Auslegungssache. Die Auslegungssache des Schiedsrichters wiederum hängt von folgenden Dingen ab:
1. Anweisungen zur Auslegung - erst FIFA, dann UEFA, dann DFB, dann Verband/Bezirk/Kreis
2. Sinn und Geist des Regelwerks
3. persönliche Interpretation in der jeweiligen Szene
Auslegungsvorschläge von diversen Lehrwarten haben wir hier bekommen, das sogar von höherer Stelle. Das ist keine Garantie auf Richtigkeit, aber ein sehr deutliches Indiz. Sinn und Geist des Regelwerks möge sich jeder selbst überlegen, meine persönliche Meinung könnt ihr hier lesen. Wenn es jemand anders interpretieren will, ok, ich kann regeltechnisch im Prinzip nichts finden - nur die Feststellung, dass das absichtliche Berühren des Balles mit der Hand strafbar und der Ort dieser Berührung der Freistoßort ist. Ich sehe es aber auch so, dass diese erste Berührung der ausschlaggebende Punkt ist.