Spiel hat gerade erst angefangen.....

  • Hatte Freitag nach 5 Monaten SR-Winter-Pause ein Senioren Kreisklassen-Spiel.


    In der zweiten Minute versetzt der Mittelstürmer den letzten Abwehrspieler und läuft mit dem Ball auf´s Tor. Der letzte Abwehrspieler hält ihn fest und foult ihn 2m vor dem Strafraum. Ein weiterer Abwehrspieler war auf gleicher Höhe, hätte aber aufgrund seiner Entfernung zum Geschehen wahrscheinlich keine Eingreifmöglichkeit mehr gehabt. Ich war unsicher- soll ich wirklich "Rot" geben? Eine Sekunde vergeht. Da steht doch noch ein weiterer Abwehrspieler (der oben genannte). Eine zweite Sekunde vergeht. Ich überlege- hätte der weitere Abwehrspieler noch eingreifen können? Eine dritte und vierte Sekunde vergeht.... Dann war es zu spät. Ich beließ es bei Gelb. Knapp- aber wohl eine Fehlentscheidung.


    Normalerweise vertrete ich die Auffassung- nicht denken, sondern einfach pfeifen. Hier habe ich zu lange nachgedacht.... dann habe ich mich nicht mehr getraut- dann je länger ich nachdachte, desto unsicherer wurde ich.


    Fazit: In diesem Spiel hatte meine Fehlentscheidung keine großen Auswirkungen- die Mannschaft des Angreifers gewann trotzdem und es gab (komischerweise) kaum Proteste. Glück gehabt.


    Aber für mich nehme ich mit: Unbedingt voll konzentriert auch in der ersten Minute agieren und nicht zu lange nachdenken- der erste Gedanke ist meist der richtige. In der 90. Minute hätte ich ohne weiteres Rot gegeben- hier in der zweiten Minute hatte ich einfach nicht den Arsch da, wo er hingehört.

  • Es wird zwar immer gesagt, dass man sich nicht von der Spielminute abhängig macht, was die persönlichen Strafen angeht. Aber wenn du dir nicht absolut sicher bist, ist eine Rote Karte in der 2. Spielminute eine größere Fehlentscheidung, als eine Rote Karte in der 90. Minute.
    Das soll jetzt nicht heißen, dass man in der 2. Minute überhaupt keine Rote Karte zeigen soll aber wenn du dir nicht sicher bist, dann zeig lieber Gelb.

  • Das ist quatsch. Wenn ich mir nicht sicher bin, darf ich weder in der 2.ten noch in der 90.ten Minute eine rote Karte zeigen. Eine rote Karte hat ja auch nicht nur auswirkungen auf das aktuelle Spiel, sondern zieht immer auch eine Sperre nach sich.


    Du solltest demnächst versuchen, direkt von Anfang an geistig voll da zu sein. Ich gehe immer in der Kabine nochmal geistig alles durch: "Von Anfang an hell wach sein, auf die Zweikämpfe achten um keine Hektik aufkommen zu lassen,..." Ansonsten kenne ich das Problem, dass man, je länger man wartet, unsicherer wird. Dennoch solltest du dir immer ne Sekunde zeit nehmen um vielleicht doch "entlastende" Argumente für den Spieler zu berücksichtigen.

  • BestRefinTown:
    Das Problem besteht darin ( und das konnte ich bereits in mehreren Posts von dir lesen )
    dass du irgendwelche Dinge in das Regelwerk hineininterpretierst und du dich damit
    selbst auf dem Platz Schwierigkeiten bereitest.
    Nicht so viel Denken sondern handeln. Wenn ich mir vor jeder Entscheidung Gedanken machen
    würde " Was wäre wenn", die Spieler würden meine Unsicherheit sofort bemerken und schamlos ausnutzen. Entscheidung fällen, dazu stehen und professionell verkaufen ( = Thema Außenwirkung ) ;)

    "Der Schlüssel zum Erfolg ist Kameradschaft und der Wille, alles für den anderen zu geben."
    - Fritz Walter († 17. Juni 2002)

  • Ich habe das vielleicht ein bisschen unglücklich Formuliert. War nicht von der ersten Minute an wach ;)
    Ich meinte nur, dass ein Feldverweis am Anfang eines Spiels, der falsch ist, eine schwerer Fehlentscheidung wäre, als in der 90. Minute.

  • @ SCHIRI-FT.de: Da ist sicher etwas dran- ich mache mir oft Gedanken und manchmal verrenne ich mich auch dabei. Dieses Forum hilft mir dabei, wieder klar zu sehen.


    Im oben beschriebenen Fall war ich mir im Moment des Pfiffs eben nicht 100% sicher- und diese Unsicherheit konnte ich auch durch Nachdenken - wo steht eigentlich der 2. Verteidiger und hätte er noch eingreifen können - nicht auflösen - und Schwupps- war´s zu spät. Später im gedanklichen Durchspielen der Szene und im Gespräch mit Zuschauern erhärtete sich mein Verdacht- wohl eine Fehlentscheidung.


    Was Spielfortsetzungen angeht verkaufe ich meine Entscheidungen gut- aber ein FAD in der 2 Spielminute?- da war ich selbst etwas erschrocken.


    Aber wie Du schon sagst- auch bei solchen Entscheidungen nicht nachdenken sondern machen.


    Verstanden.

  • Das "Problem" in Deinem o.g. Fall war m.E., dass Du Dir erst nach dem Foul konkrete Gedanken über die Konstellation der Spieler zueinander gemacht hast.
    In meinem Spielen ist es oft so, dass ich als Allein-SR einen Spielzug und die Positionen der Spieler beobachte und teilweise auch antizipiere. D.h. in der Praxis, dass ich schon bevor ein Pass ins Abseits oder eine Notbremse vorkommt, für mich die Einschätzung und Vor-Entscheidung getroffen habe, z.B. "wenn der (letzte Verteiger) den (ballführenden Angreifer) jetzt foult, dann ist es :rote_karte: (Notbremse)" oder "wenn der (ballführende Spieler) jetzt zu dem (abseitsstehenden Mitspieler) abspielt, ist es Abseits". Durch diese Was-wäre-wenn-Gedanken, die ich gar nicht bewußt anstrebe, sondern ganz automatisch durchlaufe, bin ich in dem Moment, wo z.B. die Notbremse passiert, sehr schnell und sehr sicher in meiner Entscheidung. In den weit überwiegenden Fällen, in denen die denkbare Notbremse gar nicht erfolgt, waren im Nachhinein betrachtet meine Gedanken zwar überflüssig, aber da ich sie nicht als anstrengend oder belastend empfinde, betrachte ich sie als gute Übung für den Ernstfall. Ich fühle mich durch meine in Sekundenbruchteilen ablaufenden Gedankenspiele auch nicht vom tatsächlichen Spielgeschehen abgelenkt, so dass ich für mich nur Vor- und keine Nachteile hierin sehe.


    Mich würde mal interessieren, gerade bei den erfahreneren Kollegen, ob die auch solche Vor-Entscheidungen im Kopf treffen.

    "Der Klügere gibt nach! Eine traurige Wahrheit, sie begründet die Weltherrschaft der Dummheit."
    (Marie von Ebner-Eschenbach, österreichische Schriftstellerin, *1830 +1916)


    "Mancher ist für die Wahrheit, solang die Wahrheit für ihn ist."
    (Charles Tschopp, schweizer Schriftsteller, *1899 +1982)

  • Natürlich, das fängt ja schon bei viel banaleren Dingen wie dem Stellungsspiel an. Da versucht man ja auch, Spielvorgänge zu antizipieren und sich entsprechend zu positionieren. Gerade auch bei Alleingängen, wo der Stürmer von einem Verteidiger verfolgt wird, macht man sich gedanklich schon auf eine Notbremse gefaßt, um dann im Ernstfall mit automatisierten Abläufen reagieren zu können.


    Ich denke, daß dies auf jeden Fall eine Sache der Erfahrung ist. Trotzdem kommt es immer wieder zu neuen, noch nicht erlebten Situationen, die unsere Aufgabe ja auch so reizvoll machen.

    In einer Aktion prallten Grevelhörster und Gerick zusammen. Der FC-Stürmer blutete aus der Nase, aber Schiedsrichter Stefan Tendyck aus Gelsenkirchen konnte mit einem Taschentuch aushelfen. Gericks Torriecher wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen: Er markierte das 1:3.


    Westfalen-Blatt (29.5.2017) :D

  • Ich bin zwar kein älterer Kollege, aber auch ich denke und arbeite so!

    Das beste Zitat von allen: "Dass er mir den Ball weggenommen hat und mich dabei umgestoßen hat, konnte ich ja noch akzeptieren, aber, als er mich dann beim Weglaufen einen "PARDON" nannte, musste ich einfach nachtreten!":D


    (Didi Hamann zur Rechtfertigung einer :rote_karte: wegen Nachtretens)

  • Also Rendsburger ich kann alles nach voll ziehen, auch ich mache mir Gedanke nach dem Pfiff, aber inzwischen habe ich gelernt bei schwierigen Entscheidungen, einfach auch mir mal die Zeit zu nehmen und auch die Luft aus der Situation raus zu nehmen! Klappt nicht immer aber meistens! Eins ist klar bei einigen Spielen ärgere ich mich nach den Spielen, das ich doch eine andere Entscheidung hätte treffen sollen, können, müssen! Aber auch das gehört zum Schiedsrichterleben dazu, wir sind nur Amateure und wir treffen nicht immer die goldenen Entscheidungen manchmal ist es nur Silber aber beim nächsten Mal macht man das besser!

    Es gibt Leute, die denken Fußball ist eine Frage von Leben und Tod. Ich mag diese Einstellung nicht. Ich kann ihnen versichern, dass es noch sehr viel ernster ist. (Bill Shankly)

  • Was tillongi schreibt spricht mir in der Angelegenheit ein wenig aus der Seele. Unsere Kollegen aus den höheren Klassen haben ja konkrete Trainingseinheiten und "Lehrer" die auf solche Situationen vorbereiten und schulen. Unsereins steht idR allein vor diesem Problem, besonders wenn man nicht im Gespann unterwegs ist, also meist noch zu Beginn seiner Laufbahn als SR.


    Da antizipieren von Spielsituationen kann man nur lernen. Entweder mit vieljähriger Erfahrung als SR oder mit "Vorbildung" als aktiver Spieler. Gerade letzteres ist für einen Anfänger des SR-Sports recht hilfreich, besonders wenn man die Spiele nicht nur vor dem TV bewundert hat ;)


    Aber ich muss zugeben, ich kann BestRefinTown verstehen, mir ging es gestern nach meiner ersten Partie seit dem Winter ähnlich. Ich hatte eine Mannschaft mit hohem Aggressionspotential und habe ich der entscheidenen Situation nach gut 20 Minuten Milde walten lassen und hatte danach so einige Mühe. Der Schluss ist für mich daraus, dass man in solchen Spielen eben nicht die "Luft" hat über seine Entscheidungen nachzudenken, sondern gleich :gelbe_karte: oder :rote_karte:, sonst verstehen die Leute das eben nicht. Das Problem hatte BestRefinTown nicht, aber wenn man eine Zeit "raus" aus dem Thema ist, fällt das alles etwas schwerer.


    Die Tatsache, dass wir aber fast alle Hobby-SR in den Spielklassen 7 und abwärts sind, befreit uns alle aber ein wenig von dem Zwang des perfekten Spiels. Sicherlich streben wir alle danach, aber gerade in den unteren Spielklassen sollte die Regelsicherheit im Vordergrund stehen, der Rest kommt mit der Erfahrung. Der Wunsch dass die Zuschauer nach dem Spiel applaudieren wird wohl immer ein Wunsch bleiben ;)

  • Ich kenn dieses Problem . Das hab ich manchmal schon gehabt .
    Irgendwann fang ich mit dem Denken an . Und wenn das passiert , wird es immer komplizierter ,schnelle Entscheidungen zu treffen. Aber mittlerweile passiert mir das nicht mehr so oft . Vielleicht kommt auch das mit zunehmender Erfahrung.

  • Zum Ursprungsbeitrag : Wenn man (und wenn auch nur leise) Zweifel hat, sollte man die :rote_karte: stecken lassen. Kann Deine Entscheidungsfindung nachvollziehen.

    'Dann würden einigen Stammtischen die Themen ausgehen.' (Hoffenheims Verteidiger Christian Eichner über die Folgen einer Einführung des TV-Beweises)

  • Wie sagt man der erste Gedanke ist immer der beste.


    Wenn du Dir nicht sicher bist dann kannst Du kein rot geben. Auch wenn es Regeltechnisch ROT hätte sein müssen.


    Und je länger Du wartest um so unglaubwürdiger erscheinst Du und die Spieler merken das dann auch, dass Du nicht sicher bist.


    Ich würde sagen wenn Du nach 4 sec die :rote_karte: gezückt hättest dann wäre bestimmt ein Tumult aufgekommen und gemeckere.


    Und außerdem ist das bestimmt schon uns allen hier so ergangen, dass man sich nicht sicher ist. Keiner kann sich davon frei Sprechen fehlerfrei zu sein. Denn wir sind ja Schiedsrichter aus Leidenschaft und es ist uner Hobby. Und ohne SRA ist es immer noch ein Tacken schwieriger.


    Verbuche es doch einfach unter Winterloch:p

    Berti Vogts: Sex vor einem Spiel? Das können meine Jungs halten, wie sie wollen. Nur in der Halbzeit, da geht nichts.

  • Ich sehe es so wie Stefan, im Laufe der Zeit bekommt ein Gespür dafür, was demnächst passieren kann/wird. Da denke ich z. B. an Revanchefouls, Abseitsstellungen oder wie ein Spieler in den Zweikampf geht. Da lässt sich oftmals schon von vornherein die persönliche Strafe voraussagen. Sicher nicht immer, aber doch sehr häufig.
    Gerade als ehemaliger Spieler hat man da in meinen Augen einen entscheidenden Vorteil, da man das Spiel ja auch von der "anderen" Seite kennt und sich in die Spieler in vielen Situationen versetzen kann.
    Im Übrigen denke ich, wie schon viele Vorschreiber kundgetan haben, entweder schnell entscheiden oder beim langsamen Gehen zum "Tatort" über die Art der persönlichen Strafe entscheiden. Auf keinen Fall die Karte schon beim Laufen zum Ort des Vergehens sichtbar hervor ziehen.
    Aber das sind Situationen, die macht man nur einmal falsch - wenn man lernfähig ist.;):D

    :ironie: "Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.":ironie:
    Christian Morgenstern