Der Druck ist größer geworden. Die Schiedsrichter stehen immer früher im Schaufenster. Viele Spiele, selbst unterhalb der 2. Liga, werden mittlerweile live gezeigt. Die jungen SR müssen sich in einem Korsett aus Erwartungen bewegen und haben es schwerer als ich früher, sich zu entwickeln.
Die klassischen und sozialen Medien, Klubs, Fans und auch der SR-Bereich selbst [schüren diese Erwartungen]. Vielen wird dann auch mit Mitte oder Ende 20 gesagt, dass es nicht reicht für oben. Diese Forcierung finde ich problematisch. SR brauchen Zeit, sich zu entwickeln. Der eine braucht länger als der andere. Aber Spätentwickler haben fast keine Chance mehr. Dazu kommt: Die Fitness bei Schiedsrichtern wird bei der Förderung immer mehr zur alles entscheidenden Komponente. Die FIFA und die UEFA geben es vor, der DFB und die Regional- und Landesverbände ziehen nach.
[Fitness ist eine unerlässliche Voraussetzung], aber sie ist nur eine von vielen Fähigkeiten, die ein SR benötigt. Fit sind mittlerweile alle. Aber wenn ein SR egal welchen Alters auf 40m statt 5,99s nur 6,01s läuft oder ein Assistent über 30m nicht die geforderten 4,70s, sondern 4,71s, ist er raus.
[Irgendwo muss man die Grenze ziehen], aber nicht schon dort, wo es dazu führt, dass wir unsere Auswahl unnötig klein machen. Da schließt man SR für höhere Aufgaben aus, die vielleicht gut führen können bzw. eine hohe Fußball- oder als Assistent eine hohe Abseitskompetenz haben. Es wird bei Schiedsrichtern zu wenig auf die Persönlichkeit und fußballerische Entscheidungsqualität Wert gelegt und vor allem bei FIFA und UEFA zu einseitig auf die Fitness geschaut. Ein ganzes System von 60.000 Schiedsrichtern wird in Deutschland immer mehr nach den Anforderungen ausgerichtet, die unsere 5-10 Top-SR, die es zu UEFA- oder FIFA-Wettbewerben schaffen, erfüllen müssen. Das Wichtigste für einen SR sind das Spielmanagement und eine hohe Entscheidungsqualität Das kommt mir zu kurz.
[...]Das Problem ist, dass sich einige junge SR selbst unter Druck setzen. Sie gehen den sicheren Weg und leiten Spiele enger, weil sie sich weniger angreifbar machen wollen - auch vor manchem SR-Beobachter. Am Ende - und der Trend ist international sichtbar - kann es passieren, dass alle überspitzt gesagt super Leichtathleten sind und die gleiche Frisur haben, aber die Persönlichkeiten fehlen, um korrekt zu urteilen und Spiele richtig zu managen.
[...] Die obligatorischen Lauftests sind aus meiner Sicht praxisfern. [...] Den aktuellen Lauftest halte ich für wenig aussagekräftig. Sein Ergebnis wird bei uns überbewertet. Natürlich müssen alle SR - egal, ob sie 28 oder 46 Jahre alt sind - auf dem Platz das gleiche Pensum abliefern. Aber dieser Test mit 40 75m-Intervall-Läufen in 20 Minuten spiegelt nicht wider, was im Spiel wirklich gefordert ist.