"Grenzfälle"

  • Nach dem Abpfiff und zu dem Zeitpunkt, als sowohl Schiedsrichter als auch Spieler noch auf dem Feld waren, beleidigt der Spieler den Schiedsrichter. Dieser entschließt sich daraufhin, dem Spieler noch die Rote Karte zu zeigen und hat diese auch bereits in der Hand. Da der Spieler auf Zuruf nicht reagiert und der Schiedsrichter auch dessen Nummer nicht sehen kann, macht er dabei ein paar Schritte und überschreitet versehentlich die Seitenlinie. Darf er jetzt die Rote Karte noch zeigen oder ist nur noch die Meldung im Spielbericht möglich?

  • Da der Zeitpunkt und Ort des Vergehen maßgeblich sind ist die Feststellung der Nummer unabhängig davon zu betrachten. Daher ja, Zeigen noch möglich.

    "Kondition ist nicht alles, aber ohne Kondition ist alles nix."
    Gerhard Theobald, ehemaliger Bundesliga-SR, zum Thema Grundlagen des Stellungsspieles

  • Netter Grenzfall und ich denke da werden wir auf keinen gemeinsamen Nenner kommen. Daher rein von den objektiv geschilderten Tatsachen ohne Praxisbezug:

    Weder das Zeigen der roten Karte noch das Ergreifen der Disziplinarmaßnahme "Feldveweis auf Dauer" ist möglich. Beides ist nicht mehr möglich, wenn der der Schiedsrichter das Spiel beendet hat und danach das Spielfeld verlassen hat. Die Regel schreibt hier keinen Grund vor. Die Strafgewalt endet mit Verlassen des Spielfeldes nach Spielende. Und das ist hier beides erfüllt. Bestenfalls ist noch eine Meldung im Spielbericht möglich, welcher hoffentlich von der Turnierleitung genauso gewürdigt wird, wie es eine rote Karte werden würde.


    Interessant wird dieser Grenzfall aber, wenn wir den etwas ausdehnen auf die Frage, ob denn der Schiedsrichter im regeltechnischen Sinn überhaupt das Spielfeld verlassen hat.

    Meiner Meinung ist für alle Tatsachenentscheidungen bezüglich des Spiels exklusiv der Schiedsrichter zuständig. Und das schließt die Entscheidung, ob er denn das Spielfeld verlassen hat mit ein. Das ist zwar paradox, aber Befangenheit ist in den Fußballregeln kein Grund von einer Tatsachenentscheidung befreit zu sein. Solange der SR nicht der Meinung ist das Spielfeld verlassen zu haben, hat er es auch im Sinne des Regelwerks nicht verlassen.

    Desweiteren sollte man hier auch Regel 5.2 in Betracht ziehen, ob es im Sinne des Fußballs ist in diesem Fall dem Schiedsrichter für dieses "Vergehen" die Hände zu binden.


    Insgesamt denke ich, dass sowohl "rote Karte" als auch "nur Meldung" vertretbare Entscheidungen sind, sehe aber Unterschiede bei der Angreifbarkeit der Entscheidungen. Während man bei der roten Karte einen Regelverstoß konstruieren könnte (der auf Turnierebene dann in Zusammenhang mit einem möglicherweise unberechtigten vorläufigen Entzug der Spielbereichtigung einhergeht), wäre man mit "nur Meldung" eher auf der sicheren Seite.

  • Er trifft die Tatsachenentscheidung aber regelkonform zu dem Zeitpunkt, wo er sich auf dem Feld befindet. Und nicht erst beim Überschreiten der Linie.

    "Kondition ist nicht alles, aber ohne Kondition ist alles nix."
    Gerhard Theobald, ehemaliger Bundesliga-SR, zum Thema Grundlagen des Stellungsspieles

  • Er kann die Rote Karte natürlich nur auf dem Spielfeld zeigen. Daher geht er wieder zurück und zeigt die Karte über den Spielführer oder irgendeinem Teammitglied, das garantiert noch anwesend ist. Er hat das Spielfeld aus „taktischen“ Gründen kurzfristig verlassen und nicht um in die Kabine zu gehen. Immer dran denken, was will der Fußball.


    Und die durch den vermeintlichen Formfehler „benachteiligte“ Mannschaft müsste erst einmal sofort Protest einlegen, wenn sie der Meinung ist, dass der Spieler formal bis zu einem Urteil die nächsten Spiele noch mitspielen dürfte.

  • Er trifft die Tatsachenentscheidung aber regelkonform zu dem Zeitpunkt, wo er sich auf dem Feld befindet. Und nicht erst beim Überschreiten der Linie.

    Genau.


    Die feststellung der Spieleridentität ist lediglich ein Formalismus der der Dokumentation dient.


    Das anschliessende verlassen des Feldes (nach Aussprache des FaD) ist dabei unerheblich

  • Er verlässt aber das Feld laut Schilderung schon bevor er überhaupt weiss, wen er disziplinieren muss.

    Falsch, und bitte genau lesen:

    Er hat die Karte bereits in der Hand um den Spieler zu verwarnen. Entscheidend ist der Zeitpunkt der Wahrnehmung. Die feststellung der Identität ist nachgelagert, er könnte diese auch in der Kabine am Spielbericht feststellen

  • Genau genommen hat er den Spieler identifiziert, da er ihn anspricht ohne dass dieser reagiert. Bloß kann er, warum auch immer, lediglich die Nummer für die Meldung nicht zuordnen und muss dann aufgrund der fehlenden Reaktion sich entsprechend bewegen. Vergehen, Fällen der Entscheidung und Zuordnung des Vergehens zum richtigen Spieler sind komplett unter der Strafgewalt des SR gegeben.

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    Gerhard Theobald, ehemaliger Bundesliga-SR, zum Thema Grundlagen des Stellungsspieles

  • Ganz konkret:
    Der Spieler hatte das Trikot bereits ausgezogen und meinte, er könne mir damit ohne Risiko noch einen mitgeben. Da er auch auf meine Ansprache, mir seine Nummer zu zeigen, nicht reagierte, bin ich dem nach, man will ihn schließlich nicht aus den Augen verlieren - und als ich ihm die Karte dann zeigen konnte, weil die "Fluchtmöglichkeiten" erschöpft waren, stand ich zwar noch auf dem Grün des Kunstrasens, aber eben nicht mehr auf dem Feld, daher die Frage. Als ich das bemerkte, bin ich natürlich auf das Feld zurück, es hat auch niemand reklamiert, ich habe das letztlich so gehalten wie den Umstand, dass man manchmal eben auch im Spiel das Feld verlässt, wenn sich das aus der Spielsituation so ergibt (manche machen das beispielsweise beim Eckstoß standardmäßig), da das auch nicht Richtung Kabine war, sah ich den Umstand, dass das kein gewolltes Verlassen des Spielfeldes nach Spielschluss war, als erfüllt an (wäre ohnehin zu spät gewesen, die Karte war ja schon gezeigt, als ich das bemerkt habe) - es wäre ansonsten ja auch aberwitzig, wenn sich ein Spieler der Karte so entziehen könnte oder ich mich zum Affen mache, weil ich den Kapitän wieder auf das Feld zitieren muss.