Strafbares Handspiel und kein absichtliches Spielen

  • Das Problem ist halt, dass der DFB das von Anfang an nicht gemäß dem Wortlaut der Regel interpretiert hat, sondern immer die Absicht in den Vordergrund geschoben hat.

    Es gebe nun zwei Kriterien, in denen ein Handspiel eines Verteidigers strafbar sei. Erstens: wenn ein Spieler mit einer absichtlichen Bewegung die Hand oder den Arm zum Ball führt. Oder zweitens: wenn der Spieler durch seine Körperhaltung die Intention verfolgt, den Ball aufzuhalten. "Der Unparteiische muss beurteilen: Was ist die Absicht des Spielers? Entstammt die Körperhaltung aus einem natürlichen Bewegungsablauf? Oder will der Spieler den Ball mit dem Arm aufhalten, indem er seine Abwehrfläche vergrößert? Oder nimmt er zumindest das Risiko in Kauf, dass er den Ball an den ausgetreckten Arm bekommt?"

    Es geht zurück auf ein wesentliches Kriterium: Absicht

    Die Absicht wird priorisiert. Die Absicht in zweierlei Hinsicht. Einmal die Absicht, wenn ich hingehe und fange den Ball [...] aber auch die Absicht der Bewegung. Es wird nicht mehr gesagt: Abgespreizte Hand ist sofort Handspiel. Sondern es wird gesagt: Was steht dahinter? Warum macht er denn die Handbewegung? Macht er die, um den Ball aufhalten zu wollen? Völlig unerheblich, ob die Entfernung kurz oder lang ist. Oder macht er es einfach aus dem Bewegungsablauf heraus.

    Zudem dann noch ziemlich ungünstig, dass Wagner diese Szene vor großem Publikum als nicht strafbar erklärt hat. Hinterher kam aber heraus, dass die UEFA da durchaus einen Strafstoß sehen wollte. Und in der Bundesliga wird mittlerweile ja auch fast immer gepfiffen, wenn der Körper so sehr vergrößert ist - ohne Rücksicht auf die Natürlichkeit der Bewegung.

  • Hinterher kam aber heraus, dass die UEFA da durchaus einen Strafstoß sehen wollte

    Was ich anhand der Regel übrigens 0% nachvollziehen kann.

    Das widerspricht einfach so dermaßen dem Regeltext meiner Meinung nach.


    Aber ja ich finde es irgendwie schlimm wie "falsch" man einen Regeltext interpretieren kann der mittlerweile wirklich einfach ist.


    Ich verstehe überhaupt nicht wo die Interpretation für den zweiten Fall da herkommt. Jedenfalls nicht aus dem schriftlichen Regelwerk.

    Eigentlich muss der SR da überhaupt keine Absicht beurteilen sondern nur ob die Handbewegung zur Bewegung des restlichen Körpers passt.

    Bin kein Schiedsrichter, nur ein Spieler Trainer (wieder) Spieler der sich für die Regeln seines Sports interessiert :D

  • Hier wollte ich eigentlich mehr über „was ist absichtliches Spielen im Sinne der Abseitsregel“ diskutieren als über „was ist (unabsichtliches) strafbares Abseits.


    Aber hierzu gerne auch noch mein Senf:


    Die Formulierung der Abseitsregel ist leider bezüglich der unnatürlichen Vergrößerung der Körperfläche sehr holprig. Ich lese dort auch heraus, dass der Schiedsrichter nicht nur beurteilen muss, ob die Handhaltung eine natürliche Folge der Körperbewegung ist, sondern ob auch die Körperbewegung in dieser Situation gerechtfertigt ist.


    Beispiel: Bei einer Pirouetten artigen Bewegung sind die Arme sicherlich mindesten leicht abgespreizt. Aber ist eine derartige Bewegung kurz vor einem Torschuss notwendig bzw. gerechtfertigt, um den Ball zu blocken?


    Daher Bsp. EM oder diese SZ muss der Spieler unbedingt noch einen den Arm schwingenden Ausfallschritt machen, wenn er mit einer Flanke rechnen muss?


    Und bezüglich „absichtlich“: Im Glossar ist dieser Begriff mit „vorsätzlich, bewusst“ definiert. In der originalen Fassung:


    Deliberate

    An action which the player intended/meant to make; it is not a ‘reflex’ or unintended reaction


    Das schließt eben auch bewusste Fahrlässigkeit mit ein bzw. man muss insbesondere bei höheren Klassen den Spielern unterstellen, dass das Handspiel zumindest billigend in Kauf genommen wird (bedingt vorsätzlich).

  • Ich lese dort auch heraus, dass der Schiedsrichter nicht nur beurteilen muss, ob die Handhaltung eine natürliche Folge der Körperbewegung ist, sondern ob auch die Körperbewegung in dieser Situation gerechtfertigt ist.

    An welcher Formulierung machst du das fest?
    Meiner Meinung nach ist es streng nach Regeltext eben egal, warum der Spieler diese Körperbewegung macht und auch, ob sie gerechtfertigt ist.

    Das einzige Kriterium ist, ob die Armhaltung zur Körperbewegung passt (was dann natürlich Interpretation der Einzelszene benötigt).

    Insbesondere wäre bei einem ansonsten stillstehenden Spieler jede Vergrößerung der Körperfläche unnatürlich.

    Das Mitschwingen bei einer Pirouette wäre hingegen natürlich, ebenso das Ausbalancieren beim Sprung oder das Abfangen eines Sturzes - unabhängig davon, ob die Pirouette / der Sprung / der Sturz notwendig war oder nicht.


    Ein klares Beispiel für ein nicht absichtliches, aber strafbares Handspiel wäre für mich, wenn ein stehender Spieler mit dem Rücken zum Ball den Arm hebt, um beim SR zu reklamieren - oder seinem Mitspielern taktische Anweisungen zu geben.


    (Und ich sage nicht, dass das so sein sollte oder dass DFB/UEFA/FIFA das so auslegen. Es geht mir hier nur um den Regeltext. Also hoffentlich das, was der Regelgeber IFAB eigentlich wollte...)

    Das schließt eben auch bewusste Fahrlässigkeit mit ein bzw. man muss insbesondere bei höheren Klassen den Spielern unterstellen, dass das Handspiel zumindest billigend in Kauf genommen wird (bedingt vorsätzlich).

    Ja, wenn man solche Handspiele wie aus dem Eröffnungsspiel oder in Hamburg über diese Argumentation als absichtlich bewertet, passt es auch wieder zu den Regeln.

    Aber wenn dies gegeben ist, braucht man den zweiten Regelpunkt mit der unnatürlichen Körpervergrößerung für eine Szene ja gar nicht mehr betrachten.


    Das Fragliche ist eben, wenn man die beiden Punkte vermischt und bei der Körpervergrößerung nach der Absicht urteilt.


    Bzgl. Deliberate vs Reflex haben wir ja neulich schon in einem anderen Thema diskutiert, das müssen wir wohl nicht wiederholen...


    Und dein ursprüngliches Anliegen hast du ja eigtl. in #4 schon selbst aufgelöst, oder fehlt dir da noch was?

    Alles andere in diesem Thread sind dann daraus resultierende weitere Fragestellungen.

  • Nr.23 Jetzt sind wir beim Kernproblem des Reglerwerkes. Mal gilt der exakte Wortlaut, mal die tagesformabhängige Auslegung der FIFA, des DFB oder diverser Verbände, die man oft auch nur zufällig mitbekommt.


    Dann kommt hinzu, dass der englische Text nicht wortwörtlich mit dem deutschen übereinstimmt.


    Ich entnehme meine Auslegung nicht nur der exakten Formulierung aus dem Text, sondern auch aus Entscheidungen, die offiziell getroffen werden


    Nr.23 Ergänzung: Und der Antwort der Q&A bezüglich reflexartiger Schutzhand. Dort wird nicht nur die Position der Hand, sondern auch die natürliche Bewegung des Spielers erwähnt, die so wortwörtlich nicht im Regeltext steht.


    Und ja, ein stillstehender Spieler, der die Körperfläche vergrößert bzw. die Arme nicht eng anlegt, riskiert ein Handspiel.


    Bezüglich der Ausgangsfrage habe ich in #4 nur festgestellt, dass es einen Unterschied gibt. Mir fehlt jedoch immer noch die Abgrenzung zwischen absichtlich Spielen und absichtlich Abwehren oder Abpraller.

  • Insbesondere wäre bei einem ansonsten stillstehenden Spieler jede Vergrößerung der Körperfläche unnatürlich.

    Der stillstehende Spielführer, der seinem Spieler mit dem ausgestreckten Arm und rufend anzeigt "Da rüber!" kann man aber als "Bewegung aus der jeweiligen Situation" ansehen. Ein Ball der dann gegen genau diesen ausgestreckten Arm fliegt wäre kein Handspiel mehr, weil die Handspielregel absolut unmissverständlich beschreibt, dass dies keine unnatürliche Vergrößerung wäre.

  • Jetzt sind wir beim Kernproblem des Reglerwerkes.

    Richtig, jetzt sind wir beim Kernproblem des Regelwerkes:
    Fußball lebt von (relativ) einfachen Regeln, aber wenn ich die Diskussion hier betrachte - und ich sehe uns alle als überdurchschnittlich interessierte SR an -, wird mir immer klarer, dass die ganz große Masse der Schiedsrichter und erst recht der übrigen Beteiligten mit derartigen Dingen hoffnungslos überfordert ist; aber selbst wir bekommen es ja nicht hin zu klären, wie die Regeln jetzt wirklich zu verstehen ist.


    Langsam verstehe ich, warum etliche Kollegen einfach so pfeifen, wie sie es für richtig halten - und dabei meist auch bei Spielern und Publikum den größeren Erfolg haben, weil sie eben so entscheiden, wie das erwartet und als richtig angesehen wird, ohne dass dies aber wirklich richtig sein muss.

  • Es ist ja OK, wenn das Regelwerk einfach ist und Raum für Interpretationen liefert. Und dieser Interpretationsraum dann durch Anweisungen der Verbände gefüllt wird.

    Was aber nicht sein dürfte, ist, dass es bei Stellen, die relativ konkret formuliert sind, Anweisungen gibt, die der konkreten Formulierung widersprechen. Wenn man dort mit den Regeln nicht einverstanden ist, sollte man sich beim IFAB um eine Veränderung bemühen. Aber die Regel dann einfach mit einer "Auslegung" abzuändern, führt zwangsläufig zu Problemen.

    Es kann ja sogar sein, dass die entsprechenden Anweisungen mit FIFA und IFAB abgestimmt sind. Dann läge die Schuld natürlich in erster Linie bei denen, dass sie es nicht hinbekommen, die Regeln so zu formulieren, dass sie mit der gewünschten Auslegung harmonieren.


    KozKalanndok: Was wäre für dich denn dann ein Beispiel für eine unnatürliche Vergrößerung, die kein absichtliches (noch nicht mal beding vorsätzliches) Handspiel darstellen?

    Ich finde, wenn man den ausgestreckten Arm bei Stillstand als Folge der Körperbewegung bewertet, könnte man jede Armhaltung so bewerten.


    Es gibt übrigens ein aktuelles Beispiel aus der Europa League, was gut dazu passt.

    Der Ball, der vom Mitspieler kommt, springt dem stehenden Verteidiger vom eigenen Körper an den ausgestreckten Arm.

    Der SR entscheidet auf Handspiel, für den VAR ist dies aber klar und offensichtlich falsch, so dass er interveniert. Am Bildschirm entscheidet sich dann auch der SR gegen den Handstrafstoß.

    Wahrscheinlich ist die Argumentation, dass es keine Absicht sein kann, wenn:

    a) der Ball vom Mitspieler kommt

    b) der Ball vom eigenen Körper abprallt

    Ich habe gelesen, dass es wohl eine Anweisung der UEFA gibt, dass es bei a) kein strafbares Handspiel ist. Und b) wird auch häufig als Begründung gegen Absicht genutzt.

    Also ist die Bewertung "klar keine Absicht" nachvollziehbar.

    Aber laut Regeln brauchen wir eben keine Absicht. Die unnatürliche Vergrößerung des Körpers alleine reicht aus und ist hier offensichtlich gegeben.

    Und in dem Fall ist es auch für Zuschauer und Spieler eher nicht verständlich, dass dies klar kein Handelfmeter sein soll, denke ich.

    Bezüglich der Ausgangsfrage habe ich in #4 nur festgestellt, dass es einen Unterschied gibt. Mir fehlt jedoch immer noch die Abgrenzung zwischen absichtlich Spielen und absichtlich Abwehren oder Abpraller.

    Es wurde ja im Thread versucht, dort eine Abgrenzung zu finden. Etwas Verbindlicheres dazu gibt es wohl leider nicht.

  • Was wäre für dich denn dann ein Beispiel für eine unnatürliche Vergrößerung, die kein absichtliches (noch nicht mal beding vorsätzliches) Handspiel darstellen?

    Beispilesweise der "Hampelmann" oder einfach nur Arme vom Körper strecken ohne spielsituationsbedingten Anlass (in meinem Beispiel wäre die Spielsituation die Kommunikation mit dem Mitspieler).

  • Es wäre sehr einfach, wenn sich nur einer der hoch bezahlten Funktionäre die Mühe machen würde, die grünen zusätzlichen Erläuterungen im DFB-Regelwerk mit etwas mehr Leben zu füllen. Dann ist die Druckversion halt dicker.


    Dort gehören alle Auslegungen schriftlich fixiert, die man nicht direkt dem Wortlaut des Originalen entnehmen kann.


    Änderungen während der Saison müssen dann klarer kommuniziert werden bzw. sollte es auch nur geben, wenn sie essenziell wichtig sind. Und gerade diese dem Regeltext widersprechende Änderung ist eben nicht essenziell, da jeder in dieser Ausnahmesituation die Gelbe Karte als selbstverständlich akzeptiert: Ballorientierte DOGSO im Strafraum gibt Gelb, egal ob direkter Vorteil oder indirekter Vorteil durch den Strafstoß.

  • KozKalanndok: In der Regel steht aber nicht, dass die Körperbewegung gerechtfertigt sein muss.

    Wenn also die Körperbewegung des Spielers gerade die Ausführung des Hampelmanns ist, dann wäre die Armhaltung die Folge dieser Körperbewegung und somit gemäß Regeltext keine unnatürliche Vergrößerung.


    Ich bin immer noch der Meinung, dass in diesem Abschnitt nur Haltungen des Arms gemeint sind, die aus der sonstigen Körperbewegung resultieren (Mitschwingen, Ausbalancieren, Abstützen,...). Alle anderen Vergrößerungen der Körperfläche - also die, die durch vom restlichen Körper unabhängigen Bewegungen entstehen - gelten nicht als natürlich.


    Mark: Falscher Thread, oder? Auch wenn es natürlich auch beim Handspiel hilfreich wäre, wenn alle DFB-Anweisungen auch im Regelheft zu finden wären.

  • Nr.23 Jepp, falsch geklickt, aber der Beitrag ist universell. 8o


    Zur Handspielregel: Ich bleibe dabei, dass sich bis auf die unmittelbare Torerzielung eigentlich gegenüber der letzen 10 Jahre nichts geändert hat. Man hat vor ein paar Jahren die aktuellen Auslegungen versucht zu konkretisieren, um sie dann wieder zu verallgemeinern. Vielleicht auch, um die getroffenen SR-Entscheidungen wieder mehr zu schützen, da sich der Graubereich eben nicht weg regeln lässt.


    Der Sinn und Geist der Regel ist doch ganz bestimmt, dass Arme und Hände nicht als „Ballspielgerät“ benutzt werden dürfen, wobei unvermeidbare Kontakte nicht bestraft werden sollen und man die Spieler auch nicht zwingen will, die Arme auf den Rücken zu binden. Die Schwierigkeit besteht darin, das sprachlich einfach zu formulieren und dann auch noch vollkommen sinngleich in zig Sprachen zu übersetzen.


    Als SR muss ich bei jedem Spieler voraussetzen, dass er (altersgemäß) konzentriert das Spielgeschehen beobachtet und sein Handeln grundsätzlich erstmal taktischer Art ist, es sei denn er verliert offenkundig das Gleichgewicht oder der Ball hat tatsächlich vollkommen unerwartet die Richtung gewechselt.


    Ja, der Hampelmann und Pirouetten rechtfertigen abgespreizte Arme, aber in einer zu erwartenden möglichen Flugbahn des Balles muss man dem Spieler dann absichtliches Berühren im Sinne der Regeln unterstellen und das schließt Vorsatz („ich will den Ball abwehren, egal wie, auch wenn es die Hand ist“) mit ein. Wir sind beim Fußball und nicht beim Handball oder Tanzen.


    Ja, eine Laufbewegung rechtfertigt schwingende Arme (natürliche Vergrößerung der Körperfläche). Aber muss der Spieler zum Zeitpunkt der für ihn erkennbaren Flanke noch den letzten armschwingenden Schritt machen (Absicht, Vorsatz).?


    Weiteres Beispiel. Wenn ein Spieler meint, bei gegnerischem Ballbesitz in unmittelbarer Nähe taktische Anweisungen mit den Armen zu geben zu müssen (natürliche Handbewegung), dem muss man trotzdem unterstellen, dass er bewusst ein Handspiel in Kauf nimmt. Bei eigenem Ballbesitz eher nicht.


    Eine gerechtfertigte Bewegung wäre z. B. das reflexartige Wegdrehen (max. halbe Umdrehung) mit Armen, die sicherlich dabei auch leicht abstehen können. Und genau hier geht es dann darum zu beurteilen, ob die damit einhergehende Vergrößerung der Körperfläche (besser Trefferfläche) noch natürlich ist oder nicht. Arm auf vier bis acht Uhr ist vielleicht noch eine Folge der Bewegung aber auf neun? Das bleibt dann Ermessenssache.


    Das Reinrutschen zum Blocken ist eine fußballtypische Bewegung und der Stützarm zum Boden gerichtet sicherlich eine natürliche Vergrößerung, aber Arm nach oben oder weit zur Seite gerichtet?


    Den Arm reflexartig zum Schutz eines empfindlichen Körperteils bewegen, ist laut IFAB eine grundsätzlich gerechtfertigte Bewegung. Wurde die Trefferfläche dabei unnatürlich bzw. übertrieben vergrößert? Sicherlich nein, wenn der Ball stattdessen den Körper getroffen hätte, ansonsten Ermessenssache.


    Ich könnte so weitermachen. Ich hoffe, dass jetzt klar ist, was ich meine und dass keiner die Lösung allein in der Formulierung des Regeltextes findet.