Schutzhand mittlerweile (evtl. versehentlich) erlaubt?

  • Der originale Erläuterungstext als offizielle Auslegung vom IFAB weicht allerdings von deiner Auslegung des deutschen Regeltextes ab. Für mich sind Auslegungen vom IFAB bindender als deine.

    Vorsicht:

    1. Persönliche Angriffe führen nicht weiter!

    2. Für mich ist die Auslegung maßgeblich, wie der DFB sie lehrt, ganz egal was das IFAB meint.

  • Vielleicht bezieht sich "was the result of the player's natural (reflex) movement" auch ausschließlich auf die Absichtlichkeit?


    Damit es nicht strafbar ist, müssen ja die Punkte

    - keine Absicht

    - keine unnatürliche Vergrößerung des Körpers

    erfüllt sein.

    Der zweite Punkt ist mit "did not make the body unnaturally bigger" erledigt.

    Insofern macht es argumentationstechnisch Sinn, dass der erste Teil der Antwort auf "keine Absicht" abzielt.


    D.h. die natürliche Bewegung und die Nichtvergrößerung des Körpers sollen gar keinen logischen Zusammenhang haben, sondern sind zwei getrennte Argumente.


    Ist natürlich auch nur eine Interpretation, aber löst den Knoten zumindest in meinem Kopf gerade am besten. :)

  • Manfred Ich kann mir nicht vorstellen, dass der DFB hier eine begründete abweichende Lehrmeinung vertreten sollte. Und da seit der letzten Regeländerung auch keine vergleichbare offizielle Lehrmeinung in der SZ oder sonst wo veröffentlicht wurde, ist für mich seit gestern bis auf Widerruf eine reflexartige Handbewegung nicht strafbar, wenn der Ball die Hand berührt und ich der Auffassung bin, dass er ansonsten das geschützte Körperteil getroffen hätte.


    Genau diese Auslegung entnehme ich der Q&A.


    Trifft er den abgespreizten Ellenbogen, würde ich anpfeifen und KozKalanndok weiterspielen lassen.


    Nr.23 Ich tue mich oft schwer, Regeltext und offizielle Auslegung zusammen zu bringen. Offenbar sieht das IFAB bei einer reflexartigen Handbewegung zum Schutz eines Körperteils keine absichtliche Handberührung im Sinne der Regel. Damit kann man arbeiten, äh, entscheiden.

  • Das bedeutet, dass die natürliche Bewegung ein absolutes Ausschlußkriterium für die strafbare unnatürliche Vergrößerung ist.

    Tut es natürlich nicht, und es ist doch mehr als offensichtlich, dass Du da einen Fehlschluss konstruierst.


    Im Regeltext steht: Wenn A und B, dann C. Du machst daraus: Kein C, wenn B nicht vorliegt. Das besagt aber die erste Schlussfolgerung nicht, sie macht darüber schlicht keine Aussage.

  • Ich glaube KozKalanndok bezieht sich dort auf den zweiten Satz mit dem "weder... noch"

    Dort steht: "A, wenn weder B noch C".

    Dies ist analog zu "A, wenn nicht B und nicht C"

    Daraus folgt: "Wenn B oder C, dann nicht A"


    Mit A: unnatürliche Vergrößerung des Körpers

    B: Folge einer Körperbewegung

    C: mit Körperbewegung gerechtfertigt


    Strittig bleibt aber, ob die "natürliche Bewegung" schon ausreichend für B oder C ist.

  • Aber selbstverständlich kommt C nur dann zustande, wenn der vorstehende Konditionalausdruck vollständig erfüllt ist (das ist ja wohl die Kernaussage einer wenn...dann-Formulierung, oder hat sich da die deutsche Sprache überraschend verändert?).

    Das Wort und in einem Konditionalausdruck sagt meines Wissens auch heute noch aus, dass alle dadurch verknüpften Operatoren wahr sein müssen damit das Ergebnis wahr ist.


    Oder willst Du abstreiten, dass wenn A und B kein Konditionalausdruck ist? Oder verwechselst Du und und oder?


    Genaugenommen ist die Regel ja noch komplexer:

    V = Vergehen

    A = Absicht

    B = Handberührung

    C = unnatürliche Vergrößerung

    D = Torerzielung

    E = Handberührung unmittelbar vorher

    S = situationsbedingte Bewegung

    R = rechtfertigbar durch situationsbedingte Bewegung

    Insgesamt steht ihm Regelwerk:

    V = (B und A) oder (B und C) oder (D und (B oder E))

    (umgeformt)

    V = (B und (A oder C oder D)) oder (D und E)


    Dazu ist dann definiert, dass

    C = (nicht S) und (nicht R)


    Durch Ersetzung kommt dann insgesamt heraus:

    V = (B und A) oder (B und (nicht S) und (nicht R)) oder (D und (B oder E))

  • Wem hilft dieser Artikel Exkurs in Logik jetzt weiter und was ist die Kernaussage der Regelauslegung bei der reflexartigen Schutzhand?

  • KozKalanndok: Aus "Wenn A und B, dann C" folgt nicht "Wenn nicht B, dann nicht C" (sondern nur "Wenn nicht C, dann nicht A oder nicht B")

    Beispiel:

    Aus "Wenn es heiß ist und ich Sport treibe, dann schwitze ich"

    folgt nicht "Wenn ich keinen Sport treibe, dann schwitze ich nicht"

    (sondern nur "Wenn ich nicht schwitze, ist es nicht heiß oder ich treibe keinen Sport)

  • Da bin ich bei Dir. Aber Du bringst hier eine Kausalitätsformulierung als Beispiel an.

    Das ist aber etwas grundlegend anderes als eine Konditionalformulierung, wie sie im Regelwerk steht.


    C (das Vergehen) liegt vor, wenn A und B erfüllt sind.

    Wenn A nicht erfüllt ist, dann ist die Bedingung dass sowohl A und B erfüllt sein müssen nicht erfüllt und damit ist C nicht erfüllt.


    In folgenden Satz der Regel geht es dann so ähnlich weiter (oder interpretierst Du eine weder...noch-Formulierung da anders als ich?):

    B liegt vor, wenn (nicht R) und (nicht S).


    Das ist übrigens nur eine andere Formulierung für:

    B liegt vor, wenn nicht (R oder S)

  • Naja die Frage ist, ob

    "C liegt vor, wenn..."

    gleichbedeutend mit

    "C liegt nur dann vor, wenn..." ist. Also letztlich ob C durch die folgenden Bedingungen definiert wird.

    Wenn ja, hättest du Recht, dass dann aus "nicht A" auch "nicht C" folgt.

    Dies sehe ich aber in der Regel eigentlich nicht so gegeben. Schließlich gibt es durchaus weitere Situationen, wo ein Vergehen vorliegt.


    Bzgl. der weder-noch-Formulierung stimme ich dir zu.


    Aber es stellt sich wieder die Frage, ob "B liegt vor, wenn" dann mit "B liegt nur dann vor, wenn" gleichzusetzen ist.

    In diesem Fall würde ich es tatsächlich bejahen, weil "Eine unnatürliche Vergrößerung des Körpers" hier erstmalig definiert wird.


    Sprachlich eindeutig sind diese Formulierungen aber leider nicht.

    Um nochmal analoge Beispiele zu bemühen:

    "Ein Unfall liegt vor, wenn zwei Autos ineinander fahren" hat eine andere logische Bedeutung als

    "Ein gleichseitiges Dreieck liegt vor, wenn alle drei Seiten gleich lang sind", auch wenn beides die gleiche Syntax nutzt.

  • Ich leg nach einen drauf (bevor hier noch das ganze Alphabet Anwendung findet ;)).


    "Hand iss wenns Absicht iss" und der Schiedsrichter pfeift.

  • Und ist eine reflexartige Handbewegung jetzt Absicht oder nicht?

    Wenn ich als Schiri in dem Moment der Auffassung bin, dass das Absicht war - ja. Christoph schröder hat das in seinem Buch "Ich pfeife" sehr klar auf den Punkt gebracht: Wenn der Spieler fragt, ob er sich vor dem Ball, der ihm ins Gesicht fliegt, mit den Händen schützen darf, lautet die Antwort eindeutig "Nein". Zwar ist die Regel seitdem etwas weicher geworden, aber letztlich gilt noch immer, dass das absichtliche Handspiel verboten ist - und eine finale Festlegung, was nun Absicht oder Reflex ist, wird sich nie sauber machen lassen, im Zweifel hat der Spieler das Problem, wenn ich als SR eine andere Einschätzung habe.

  • Der Regelgeber will:

    Wenn der Regelgeber das wollte, dann hätte er sich 80% der Handspielregel sparen können. Das mit der Absicht ist nämlich nur der erste Teil.

    Bei unnatürlicher Vergrößerung reicht aber schon der unabsichtliche Handkontakt. Der Regelgeber stellt da ausdrücklich nicht auf die Absicht ab.

    "C liegt vor, wenn..."

    gleichbedeutend mit

    "C liegt nur dann vor, wenn..." ist.

    C liegt vor, wenn A und B: Das bedeutet, dass C vorliegt, wenn sowohl A als auch B erfüllt sind. Wenn nur eins der Kriterien erfüllt ist, ist das nicht ausreichend um positiv zu Entscheiden, dass C vorliegt. Ja, es reicht auch nicht aus um negativ zu entscheiden, aber wir müssen die positive Entscheidung treffen, dass ein Vergehen vorliegt und das geht nunmal nicht, wenn eins der Kriterien nicht erfüllt ist.


    Hätte der Regelgeber gewollt, dass eines der Kriterien ausreicht, dann hätte er nicht und sondern oder geschrieben.


    Wenn Du wirklich derart elementare Axiome der Aussagenlogik in Frage stellst, dann reden wir beim nächsten Mal Gelb/Rot auch mal über den Nachweis darüber, ob 1x Gelb plus 1x Gelb wirklich 2x Gelb ergibt (die Addition ist in der Mathematik ein genaoso elementares Axiom wie es die Konjunktion für die Aussagenlogik ist).

  • C liegt vor, wenn A und B: Das bedeutet, dass C vorliegt, wenn sowohl A als auch B erfüllt sind. Wenn nur eins der Kriterien erfüllt ist, ist das nicht ausreichend um positiv zu Entscheiden, dass C vorliegt. Ja, es reicht auch nicht aus um negativ zu entscheiden, aber wir müssen die positive Entscheidung treffen, dass ein Vergehen vorliegt und das geht nunmal nicht, wenn eins der Kriterien nicht erfüllt ist.


    Hätte der Regelgeber gewollt, dass eines der Kriterien ausreicht, dann hätte er nicht und sondern oder geschrieben.

    Das sehe ich ja auch genauso.

    Aber C kann doch auch durch andere Bedingungen hervorgerufen wurden, d.h. es kann eine zusätzliche Bedingung "C liegt vor, wenn D" geben, die nicht im Widerspruch zu "C liegt vor, wenn A und B" steht.

    Und dann folgt aus "nicht A und nicht B und D" eben doch C. Insofern finde ich die Aussage "Aus "nicht A" folgt "nicht C"" in der Allgemeinheit falsch.

    Genau das ist beim Handspiel ja der Fall - es kann auch ein Vergehen sein, wenn der Spieler seinen Körper nicht unnatürlich vergrößert (wenn die Bedingungen Absicht oder Torerzielung erfüllt sind).

    Und ist eine reflexartige Handbewegung jetzt Absicht oder nicht?

    Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind Reflexe ziemlich klar nicht absichtlich (zumindest nicht "deliberate")

    Insofern könnte man es sich hier einfach machen und sagen, dass reflexartige Handspiel keine Absicht darstellen und somit nicht strafbar sind. Besonders wenn man nach "Hand iss wenn Absicht iss" handelt. ;)

    Dies entspricht meiner Beobachtung nach aber nicht der gängigen Auslegung, bei der eindeutige Hand-zum-Ball-Bewegungen eigentlich immer geahndet werden, auch wenn sie aus einem Reflex entstehen. Ich würde sogar vermuten, dass bei den meisten Situationen, wo auf absichtliches Handspiel entschieden wird, ein Reflex zumindest nicht ausgeschlossen werden kann, vielleicht sogar die naheliegende Entscheidung ist. Dass ein Verteidiger im Strafraum wirklich bewusst den Ball mit der Hand spielt, dürfte ja eher selten vorkommen.

  • Och Manfred, jetzt komm doch bitte nicht mit den Argument der Wahrnehmung/Auffassung. Es geht um die Regeltheorie.


    Unser Regelgeber hat im Glossar definiert, was „Absicht“ im Sinne der Regel bedeutet und mit der aktuellen Q&A ebenfalls ebenfalls definiert, was er beispielsweise nicht als Absicht versteht.


    Bezogen auf die ursprüngliche Überschrift: Ja, die Schutzhand ist aktuell und ganz bewusst erlaubt, zumindest wenn sie reflexartig erfolgt und dabei den Körper nicht unnatürlich vergrößert.


    Ich habe diese Auslegung nicht erfunden, sondern nur gefunden.


    Und das unabhängig jeglicher linguistischer Logiken und Wahrnehmung des Schiedsrichters.

  • Nr.23 Das größte Problem ist, dass wir noch auf alten Regeln und Auslegungen beharren. Die Handspielregel wurde jedoch durch die letzten beiden massiven Änderung quasi neu definiert, also Reset.


    „Hand zum Ball“ war z. B. auch nie ein hinreichendes Kriterium, sondern nur ein mögliches Merkmal, das auch damals schon im kompletten Kontext zu bewerten war.


    Ja, der Regelgeber stellt wieder die Absicht in den Vordergrund, also das bewusste, zielgerichtete handeln auch den Ball mit der Hand spielen zu wollen oder zumindest den Kontakt billigend in Kauf zu nehmen, bei der unnatürlichen Vergrößerung der Körperfläche.


    Und wer reflexartig die Hand vor ein Körperteil zieht, hat nicht das Ziel den Ball zu spielen oder einen Torschuss abzuwehren, sondern ausschließlich Schmerzen bzw. eine Verletzung zu vermeiden. Und wenn jetzt auch noch nicht einmal die Körperfläche nennenswert vergrößert wird, ist ein Weiterspielen im Sinne der Regeln.


    Und selbstverständlich sind jetzt nicht alle reflexartige Handbewegungen erlaubt, sondern eben nur die offenkundige, körpernahe Schutzhand, wenn ein Spieler aus kurzer Distanz abgeschossen wird.


    Die Beurteilung liegt selbstverständlich immer im Ermessensspielraum des Schiedsrichters. Das gute ist doch, dass wir jetzt eine offizielle Regelgrundlage, haben, wenn wir weiterspielen lassen.

  • Stimme mit deinem Beitrag weitestgehend überein. Nur zwei kleine Anmerkungen:

    „Hand zum Ball“ war z. B. auch nie ein hinreichendes Kriterium, sondern nur ein mögliches Merkmal, das auch damals schon im kompletten Kontext zu bewerten war.

    So sollte es zumindest sein. Praktisch habe ich aber zumindest im Spitzenfußball den Eindruck, dass dies de facto wie ein hinreichendes Kriterium genutzt wird (umso mehr, wenn noch der VAR draufschaut).

    Und wer reflexartig die Hand vor ein Körperteil zieht, hat nicht das Ziel den Ball zu spielen oder einen Torschuss abzuwehren, sondern ausschließlich Schmerzen bzw. eine Verletzung zu vermeiden.

    Wer dies als Reflex tut, hat meiner Auffassung nach gar kein Ziel. Sobald es ein Ziel gibt, kann es eigentlich kein Reflex mehr sein.

    Also wer die Hand irgendwo hinzieht mit dem Ziel (~= der Absicht), den Ball mit der Hand zu spielen, um Schmerzen zu vermeiden (oder aus irgendeinem anderen Grund), handelt zumindest dem Wortlaut der Regel nach strafbar, weil er den Ball dann eben absichtlich spielt.

  • Aber C kann doch auch durch andere Bedingungen hervorgerufen wurden

    Richtig. Und das habe ich ja oben schon für die komplette Handspielregel formuliert ...

    Vergehen = (Berührung und Absicht) oder (Berührung und UnnatVergr) oder (Tor und (Berührung oder BerührungUnmittelbarVorher))

    UnnatVergr = (nicht SituativeBewegung) und (nicht MitSituativerBewegungZuRechtfertigen)


    Bedeutet übrigens auch:

    Wenn in der IFAB-Regelfrage der Ball von der Hand des Verteidigers Verteidiger direkt ins Tor (für den Verteidiger) geht oder der Ball dem Verteidiger vor den Fuß fällt und er ihn dann ins Tor schießt, dann war es trotz des Fehlens der unnatürlichen Vergrößerung ein Vergehen.