Vielen Dank, Herr Schiedsrichter!

  • Der Reihe nach:
    Kampf um den Ball bedeutet, dass der Ball in spielbarer Nähe sein muss - schon das ist hier nicht gegeben. Ob der Angreifer eine Chance haben muss, den Ball überhaupt regelkonform erreichen zu können, darüber kann man vielleicht streiten, dies ist aber zweifelsfrei im Sinne des Fußballs, der von fairem regelkonformen Spiel als Standard ausgeht - es dürfte aber unstrittig sein, dass keine Chance bestand, den Ball regelkonform zu treffen.


    In den Videobildern sieht es stark nach einem Treffer der Wade aus, das später gepostete Standbild zeigt, dass der Treffer an einem anderen Ort erfolgt, ändert für mich aber nichts daran, dass ein solches Foul eben definitiv "Rot" ist - ob das nun eine Tätlichkeit oder doch die Gefährdung der Gesundheit ist, braucht mich auf dem Platz zum Glück nicht zu interessieren; das war aber der Ausgang des Themas.


    Letztlich halte ich sowohl Tätlichkeit als auch Gesundheitsgefährdung für verargumentierbar.

  • amfa: Ja, kann sein, dass da auch Zufall mit reinspielt. Ich würde aber behaupten, dass es genauso aussehen würde, wenn er einen Treffer am Fuß beabsichtigt hätte. So exakt lässt sich das halt in dem Tempo nicht steuern. Insofern lässt sich seine Absicht auch nicht definitiv erkennen.

    Aber das Gute ist ja, dass wir das auch nicht müssen, da die Absicht bei der Foulbeurteilung keine Rolle spielt.

    Viel wichtiger ist das erzielte Ergebnis. Z.B. kann es bei einem heftigen Einsteigen auch den Unterschied für die persönliche Strafe machen, ob der Fuß oder das Sprunggelenk/Schienbein getroffen wurde. Auch wenn der Spieler nur den Ball spielen wollte und es auch "Zufall" ist, welchen Körperteil des Gegners er trifft.


    Manfred: Ein Laufduell, bei dem sich ein Spieler den Ball mehrere Meter weit vorgelegt hat, ist dann auch kein Kampf um den Ball? Der Ball ist dann ja nicht in spielbarer Nähe...


    @Wade: Vielleicht gibt es auch ein Missverständnis, was die Wade ist. Nach meinem Verständnis ist dies die Rückseite des Unterschenkels. Im Moment des Fouls befindet sich diese somit oben. Der Spieler wird aber doch von unten am Bein getroffen. Ob das nun das Schienbein, das Sprunggelenk oder der Fuß ist, kann man ja noch diskutieren, aber einen Treffer an der Wade kann ich da gar nicht erkennen.


    Um das Thema mal langsam abzuschließen, versuche ich mal eine Zusammenfassung:

    - Wir haben eine mit dem Regeltext vereinbare Begründung gefunden

    - Das DFB-Sportgericht sieht hier eine Tätlichkeit

    - Darüber, ob es (sowohl theoretisch als auch praktisch) eine zwingende Rote Karte ist oder es einen Interpretationsspielraum für den Schiedsrichter gibt, gibt es unterschiedliche Meinungen. Das ist aber bei der Bewertung von Foulspielen durchaus normal. Vernünftige Argumente wurden ja für beide Sichtweisen gefunden. Vielleicht gibt es ja in einer SR-Zeitung o.ä. noch eine Stellungnahme dazu, bzw. man wird vielleicht bei zukünftigen Spielen sehen, ob andere SR auch immer Rot dafür geben.


    Ich habe die Szene übrigens auch bei einer internationalen SR-Seite zur Diskussion gestellt: Dort gab es auch ein gestreutes Meinungsbild von "klar Rot" bis "Bedingungen für Rot nicht erfüllt", aber mit Tendenz zur Roten Karte.

  • Für mich gibt es zwei Gründe für gelb. "Taktisch" ("lot of green") und von der Härte (weder fahrlässig noch brutal, sondern rücksichtslos). Die addieren sich nicht zu rot. Deshalb eher gelb als rot.

  • Das könnten wir doch auch bei der StVO einführen - so lange der lästige Fußgänger oder Radfahrer nur Prellungen davonträgt, darf ich meinen Führerschein auch dann behalten, wenn ich ihn absichtlich umgefahren habe...:ironie:

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.

  • In den Videobildern sieht es stark nach einem Treffer der Wade aus, das später gepostete Standbild zeigt, dass der Treffer an einem anderen Ort erfolgt, ändert für mich aber nichts daran, dass ein solches Foul eben definitiv "Rot" ist - ob das nun eine Tätlichkeit oder doch die Gefährdung der Gesundheit ist, braucht mich auf dem Platz zum Glück nicht zu interessieren; das war aber der Ausgang des Themas.


    Verwechselst Du möglicherweise Schienbein mit der Wade? Oder dachtest Du, dass Geiger das Standbein von Onisiwo trifft? Im letzteren Fall wäre die Diskussion hinfällig, das wäre glasklares rohes Spiel. Aber eine Wade sehe ich hier nirgendwo involviert und das ist in meinen Augen wichtig, dass wir uns da einig sind, denn das ändert die Bewertung fundamental.


    Was das "braucht mich auf dem Platz nicht zu interessieren", sehe ich ehrlich gesagt auch anders: Natürlich kann der SR nur dann rot zeigen, wenn das auf Basis des Regeltextes begründbar ist. Ein Foul "irgendwie rotwürdig" zu finden und dann den Rest dem Sportgericht zu überlassen, kann nicht funktionieren. Da kommt man ja allein beim Sonderbericht schon ins Straucheln.


    Für mich gibt es zwei Gründe für gelb. "Taktisch" ("lot of green") und von der Härte (weder fahrlässig noch brutal, sondern rücksichtslos). Die addieren sich nicht zu rot. Deshalb eher gelb als rot.


    Es ist richtig, dass ein rücksichtloses taktisches Foul ebenfalls gelb ist, nicht etwa gelb+gelb-rot oder gar glatt rot. Ich könnte mit dieser Argumentation hier auch durchaus leben. Der Schiedsrichter hat aber auf rot entschieden, und für meine Begriffe ist das die bessere Wahl als gelb. Die Diskussion, die hier läuft, zielt aber darauf ab, ob und wie die rote Karte mit dem Regeltext der Regel 12 vereinbar ist. Das mag zunächst etwas formal klingen, ist aber schon spannend und hat (wie auch oben gesagt) eine Relevanz für die Praxis.


    Das könnten wir doch auch bei der StVO einführen - so lange der lästige Fußgänger oder Radfahrer nur Prellungen davonträgt, darf ich meinen Führerschein auch dann behalten, wenn ich ihn absichtlich umgefahren habe...


    Völlig klar ist, dass das Ergebnis (Verletzung ja/nein) nicht ausschlaggebend dafür sein darf, welche persönliche Strafe ausgesprochen wird. (Gleichzeitig ist es in den Grenzfällen für den SR manchmal empfehlenswert, kurz die Behandlungspause zu nutzen, um ein weiteres Indiz für die Entscheidung einzusammeln.) Aber soweit ich das sehe, hat das hier auch niemand gefordert?!

  • Verwechselst Du möglicherweise Schienbein mit der Wade?

    Nein, bei wiederholter Betrachtung im laufenden Film sah das schon wie ein Wadentreffer aus - allerdings ist das Bild auch nicht besonders groß -, das Standbild hingegen zeigt deutlich, dass die Wade nicht touchiert wurde.

    Was das "braucht mich auf dem Platz nicht zu interessieren", sehe ich ehrlich gesagt auch anders: Natürlich kann der SR nur dann rot zeigen, wenn das auf Basis des Regeltextes begründbar ist. Ein Foul "irgendwie rotwürdig" zu finden und dann den Rest dem Sportgericht zu überlassen, kann nicht funktionieren. Da kommt man ja allein beim Sonderbericht schon ins Straucheln.

    Beim Sonderbericht komme ich nie in Schwierigkeiten, weil ich da immer nur den Sachverhalt schildere - das Sportgericht kann, will und soll sich ja ein eigenes Bild machen -, welches Regelvergehen ich als erfüllt angesehen habe, erwähne ich grundsätzlich nicht sondern nur in absoluten Ausnahmefällen und mit er Einschränkung "nach meiner Wahrnehmung" o.ä. Daraus wird deutlich, dass ich mir durchaus Gedanken mache, welche Regelgrundlage für eine Rote Karte in Frage kommt, es aber hier für mich letztlich egal ist, ob das nun eine Tätlichkeit oder rohes Spiel ist, da beide Sachverhalte die Rote Karte zur Folge hätten; insofern muss mich das auch dem Platz tatsächlich nicht bis ins Detail interessieren.

  • Aber das Gute ist ja, dass wir das auch nicht müssen, da die Absicht bei der Foulbeurteilung keine Rolle spielt.

    Das sehe ich halt anders.
    Wenn Spieler A seinem gegner aus Versehen auf dei Füße tritt ist das ein Foul.
    Tritt er absichtlich drauf durchaus eine Tätlichkeit und damit Rot.


    Wenn ich mir das im Regelheft durchlese (Offtopic warum is das verdammte PDF 160MB groß?!)


    Zitat


    Tätlichkeit

    Eine Tätlichkeit liegt vor, wenn ein Spieler ohne Kampf um den Ball übermäßig hart oder brutal gegen einen Gegner, Mitspieler, Teamoffiziellen, Spieloffiziellen, Zuschauer oder eine sonstige Person vorgeht oder vorzugehen versucht.


    Das ist für mich halt kein Kampf um den Ball hier und es ist übermäßig hart.

    Somit fällt das unter Tätlichkeit und muss sowieso rot geben.


    Wenn man hier einen kampf um den ball annimt, landet man wohl eher bei Rücksichtslos was dann gelb wäre.


    Oder man sagt es ist "übermäßg hart", würde ich auch durchgehen lassen


    Zitat

    „Übermäßig hart“ bedeutet, dass ein Spieler mehr Kraft einsetzt als nötig und/oder die Gesundheit eines Gegners gefährdet. Ein solches Vergehen ist mit einem Feldverweis zu ahnden.

    Hier hätte es halt auch eine "leichte" Berührung getan, es wird aber mehr Kraft als nötig eingesetzt (der Spieler "zieh voll durch" meiner Meinung nach).


    Ingesamt sehe ich daher weiterhin eher rot als gelb.

    Bin kein Schiedsrichter, nur ein Spieler Trainer (wieder) Spieler der sich für die Regeln seines Sports interessiert :D

  • Zitat

    Das ist für mich halt kein Kampf um den Ball hier und es ist übermäßig hart.

    Somit fällt das unter Tätlichkeit und muss sowieso rot geben.

    Wie gesagt, es gibt gute Argumente, dass man sich auch in einem "Kampf um den Ball" befinden kann, ohne dass man "versucht, den Ball zu spielen".

    Insbesondere ist in der Lehrmeinung "kein Kampf um den Ball" eher gleichbedeutend mit "abseits vom Spielgeschehen".


    Übermäßige Härte liegt vor, wenn der Spieler deutlich härter als notwendig einsteigt. Eine reine Inkaufnahme einer Verletzung reicht hier noch nicht. Kernfrage ist hier: Werkzeug oder Waffe?


    Insgesamt ist die Einordnung als Tätlichkeit damit schon überraschend.


    Zitat

    Hier hätte es halt auch eine "leichte" Berührung getan, es wird aber mehr Kraft als nötig eingesetzt (der Spieler "zieh voll durch" meiner Meinung nach).

    Das ist nun eine reine Wahrnehmungsfrage und da gehen die Meinungen ja augenscheinlich auseinander.


    Als SR denke ich hier: "Wow, das sah heftig aus."

    Nun muss ich aber zurückspulen und nüchtern analysieren.

    Der fehlbare Spieler will seinen Gegenspieler unbedingt aufhalten in dieser Spielphase, kommt aber nicht richtig hinterher und so ist Trikotziehen nicht mehr möglich.

    Nur noch ein beherzter Sprung kann den Gegner ins Stolpern bringen.

    So geschieht es dann auch, der Treffer selbst sieht in der Wiederholung nicht allzu schlimm aus.


    Schon habe ich eine Version, in der der Spieler das leichtestmögliche taktische Vergehen wählt.

    Ungeachtet einer gewissen Verletzungsgefahr würde ich hier noch nicht von Waffe sprechen wollen, sondern sehe eher noch das Werkzeug.


    Nachtrag: Ich stand aber natürlich nicht auf dem Feld, sondern wollte nur noch mal verdeutlichen, wie der Bewertungsprozess verlaufen könnte.

  • Wobei "ein beherzter Sprung" ganz klar macht, dass es sich vielleicht taktisch um die harmloseste verbliebene Variante handelt, die Variante aber dennoch nicht harmlos ist.

  • So geschieht es dann auch, der Treffer selbst sieht in der Wiederholung nicht allzu schlimm aus.

    Ich verstehe deine Argumentation, aber ich finde in der Wiederholung sieht's sogar noch schlimmer aus.
    Ich erkenne in dem ganzen Bewegungsablauf, dass der Spieler voll ausholt und einfach stark zutritt.


    Hier wird ja sogar erst ein Standbein gesetzt und dann durchgezogen.. quasi wie bei einem Abstoß.
    Und das ist für mich dann "übermäßig hart".

    Dazu kommt das ich persönlich bei so was einfach rot sehen will.

    Bin kein Schiedsrichter, nur ein Spieler Trainer (wieder) Spieler der sich für die Regeln seines Sports interessiert :D