Pflicht zurückzuziehen?

  • In meinem heutigen Spiel hatte ich eine "Was wäre wenn"-Aktion, von der ich denke, dass wir sie alle so oder ähnlich kennen:


    Angreifer sprintet nach dem Ball, der Torwart wirft sich entgegen. Der Angreifer könnte den Ball erreichen und regelkonform spielen, hätte aber nur die Chance, den Ball "volle Kanne" dem Torwart ins Gesicht zu schießen - und es bedarf wenig Phantasie sich vorzustellen, dass der TW danach ein neues Passbild braucht und viel Zeit bei diversen Ärzten verbringen wird.


    Nun haben wir hier die Problematik, dass jeder Spieler für sich regelkonform agiert, es dennoch aber nicht im Sinne des Fußballs sein kann, derart schwere Verletzungen in Kauf zu nehmen. Daher stellt sich mir die Frage, ob der Angreifer, zumindest wenn er noch die Möglichkeit dazu hat, "abdrehen" muss und wenn ja, welche Konsequenzen es hätte, wenn er das nicht tut?

  • Naja Manfred. Ich habe mit meiner Schiri Truppe immer wieder regelmässig das Gespräch über das was passiert wäre oder was verhindert hätte werden könne oder welche Auswirkungen irgendetwas gehabt hätte.


    Wir Schiries haben Tatsachen zu entscheiden. Es heist Tatsachenenstcheidung, weil wir etwas anhand von Wahrgenommenen Tatsachen entscheiden. Auch wenn wir mit unserer Wahrnehmung und Beurteilung diese Tatsachen oft erst einmal schaffen.

    Zunächst einmal haben Beide das Recht den Ball zu erreichen. Das der eine dabei "vermutlich" eher zu spät kommt nehmen wir zumindest als "Versuch den Ball zu spielen" wahr (auch wenns halt nicht geklappt hat.


    Ich muss dann meine Schiries immer mal wieder mit guter Regelmäßigkeit "zurückpfeifen".


    Wir haben nicht zu entscheiden was wäre wenn passiert wäre, sondern was tatsächlich aus welchem Grund passiert ist.


    Auch wenn viele auf dem Spielfeld immer behaupten "Schiri Du musst meine Spieler schützen". Das geht nicht. Als Schiri gibt es nur Zwei Entscheidungen.Entweder Du greifst ein weil etwas NICHT Regelkonform war,oder Du lässt weiterspielen.


    Was die Situation die Du schilderst betrifft:


    Achtung Kopfkino! Natürlich kannst Du "gefährliches Spiel konstruieren", bei Kontakt musst Du aber entscheiden ob strafbar oder nicht. Beides aber immer erst nur wenn es passiert ist.

  • Daher stellt sich mir die Frage, ob der Angreifer, zumindest wenn er noch die Möglichkeit dazu hat, "abdrehen" muss und wenn ja, welche Konsequenzen es hätte, wenn er das nicht tut?

    Rein regeltechnisch muss er das nicht, denn er darf ja genauso den Ball spielen. Wenn er das nicht tut und mit dem Tormann am Boden kollidiert spielt für mich meistens der Torwart zuerst den Ball. Sollte der Spieler noch rücksichtslos in den Zweikampf gehen, bekommt er die Verwarnung noch obendrauf. Auch wenn der Torwart keinen besonderen Schutz genießt, ist er doch oftmals anfälliger für Verletzungen durch Kontakt mit dem Gegner, einfach aufgrund seiner Spielweise. Außerdem möchte ich auf dem Platz möglichst präventiv agieren um Verletzungen zu vermeiden. Nach der Verwarnung wird allen Spielern wieder bewusst, dass es nicht um die Weltmeisterschaft geht und am Montag wieder alle in die Arbeit müssen.

  • Rein nach Regeltheorie liegt beim Zurückziehen formal gefährliches Spiel des Torhüters vor:

    Der Torhüter könnte durch diese Aktion den Ball zu spielen verletzt werden und der Angreifer wird aus Angst den Torhüter zu verletzen durch das Zurückziehen am regelkonformen Spielen des Balles gehindert.


    Allerdings erwartet hier keiner idF für den Angreifer. Daher lege ich das gefährliche Spiel hier anders aus:


    Wenn der Torhüter versucht den Ball mit der Hand zu spielen, egal ob in der Luft oder am Boden, dann ist jede Aktion, die seine Gesundheit gefährdet, mindestens gefährliches Spiel.


    Es ist daher die Pflicht des Angreifers zurückzuziehen und das Spiel läuft weiter.


    Sollte er nämlich mit voller Wucht aus nächster Nähe dem Torhüter den Ball ins Gesicht schießen, dann ist das meines Erachtens ein Foulspiel, das mit Gelb bzw. Rot zu bestrafen ist.


    Auch beim korrekt ausgeführten Freistoß oder Einwurf darf man den Gegenspieler nicht rücksichtslos oder übermäßig hart anschießen bzw. abwerfen. Wieso sollte das beim laufenden Spiel erlaubt sein?

  • Um es nochmals zusammen zu fassen:


    Du kannst niemanden dafür bestrafen, das er einen Kontakt nicht verhindert hat, Du kannst nur dafür jemanden bestrafen, das ein Kontakt stattgefunden hat. Der Unterschied klingt nach "dipfele Scheisserei" aber genau genommen ist das genau der Unterschied, den wir im Disziplinarmaßstab auch anlegen (Stichwort: Wollte der Spieler den unvermeidlichen Kontakt noch verhindern oder dessen Auswirkungen schmälern)


    Du kannst jemanden auch ohne Kontakt dafür bestrafen, weil er "übermotioviert" und gefährlich zu Werke geht. Viele kennen hier zwar nur das Hohe Bein oder den tiefen Kopf es gibt aber auch andere Situationen (Achtung Kopfkino) wie bspw die Offene Sohle oder das gestreckte Bein.


    Es gibt also in diesem Sinne keine "Pflicht zurückzuziehen" sondern eher eine "Strafmilderung" wenn man genau dieses Versucht hat.


  • Sollte er nämlich mit voller Wucht aus nächster Nähe dem Torhüter den Ball ins Gesicht schießen, dann ist das meines Erachtens ein Foulspiel, das mit Gelb bzw. Rot zu bestrafen ist.

    Da bin ich anderer Meinung (auch wenn ich selber Torhüter war). Der Torhüter geht ein Großes Risiko ein und das ist ihm auch bewußt. Der Stürmer hat das Recht zum Ball zu gehen und wenn er ihn regelgerecht spielt - wonach das ja aussieht - kann ich höchstens das Spiel wegen der Verletzung des Torhüters unterbrechen.

  • gebi, vielleicht haben wir nicht die gleichen Bilder im Kopf.

    Ich sehe einen Angreifer, der ohne Zweifel absichtlich und mit voller Wucht dem Torhüter den Ball aus nächster Distanz ins Gesicht schießt, ggf. auch als „Pressschlag“.


    Der TW, der in TW-Manier mit der Hand zum Ball geht, muss geschützt werden. Genauso muss er betraft werden, wenn er sich mit gestreckten Beinen oder dem Knie voraus einen Vorteil verschaffen will.

  • Aber ich kann doch den Stürmer nicht dafür bestrafen, dass er den Ball aufs Tor schießt, selbst wenn ihm klar ist oder sein müsste, dass er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Torwart trifft.

  • Gegen welche Regel verstößt ein TW, der einen gefangen Ball mit voller Wucht einem nahe stehenden Angreifer ins Gesicht wirft? Er wollte sicherlich auch nur seinen 70 m entfernten Mitspieler erreichen. ;)

  • Wenn du der Auffassung bist, dass absichtliche oder äußerst rücksichtslose Körperverletzung in Ordnung ist, wenn der Ball dabei „regelkonform gespielt“ wird, dann musst du das mit deinem Gewissen vereinbaren.


    Es geht hier um die von Manfred beschriebene Situation, bei der es nur zwei bewusste Wahlmöglichkeiten für den Angreifer gibt: Zurückziehen oder TW schwer im Gesicht verletzen. Was stimmt bei einem nicht richtig, der letzteres als regelkonform gut heißt?

  • Wir unterwerfen uns nunmal dem Fußballregelwerk. Dass es bei einem Spiel zu Verletzungen kommen kann, muss allen Beteiligten bewusst sein.


    In anderen Sportarten ist das noch viel deutlicher. Frag doch mal einen Ringrichter beim Boxen, ob er absichtliche Körperveletzung in Ordnung findet, solange nach den geltenden Regeln gekämpft wird.

  • Wenn du den Unterschied zwischen einem „absichtlichen“ und einem „in spieltypischer Weise unglücklichen“ Verletzen eines Gegenspielers beim Fußball nicht verstehst, haben wir für eine gemeinsame Diskussion keine Grundlage.

  • Vielleicht ist das das Problem, denn ich würde es tatsächlich als "in spieltypischer Weise unglücklich" einordnen, wenn ein Spieler einem anderen Spieler, der sich zwischen ersterem und dem Tor befindet, den Ball ins Gesicht schießt.

  • Gegen welche Regel verstößt ein TW, der einen gefangen Ball mit voller Wucht einem nahe stehenden Angreifer ins Gesicht wirft?

    Und gegen welche Regel verstößt ein Stürmer, der regelgerecht den frei zu spielenden Ball schießt? Zwar dem Torhüter ins Gesicht, aber dass ist für mich auch das Risiko des Torwartes. Und das ist nicht zu vergleichen mit deiner beschriebenen Aktion mit dem TW. Der TW hat den Ball in der Hand und er ist deshalb für keinen anderen spielbar. Beim Fall mit dem Stürmer sieht die Sache ganz, ganz anders aus. Da ist der Ball für jeden frei spielbar.

  • Ich bin gerade zufällig über dieses Video aus der amerikanischen MLS gestolptert.

    Youtube ab 4:43

    Die Bildrate genügt leider nicht um den genauen Zeitpunkt des Schusses festzuhalten, aber im Video sieht man den Bewegungsablauf ganz gut. Wichtig dabei ist, dass der SR das Spiel erst nach diesem Schuss unterbrochen hat, die Aktion also im laufenden Spiel war. Der amerikanische Kollege wertete das als "violent conduct" also Tätlichkeit und schloss den Schützen des weißen Teams aus. Der Kommentator begründete das mit folgenden 3 Punkten:

    1. Der Härte des Schusses, denn es besteht aus fußballerischer Sicht kein Grund so hart zu schießen.

    2. Der Schütze in weiß schießt in die Richtung seines eigenen Tores

    3. Der Schütze hatte zwar nicht vor seinen Gegner am Kopf zu treffen, doch er traf ihn trotzdem


    Schaut man sich die Szene in Echtzeit an, sieht man, dass der grüne Spieler mehr oder weniger vor den Ball stolpert und der weiße Spieler nur sehr wenig Zeit hat zu reagieren, bzw. nicht den direkt vor seine Füße fallenden Gegner zu treffen. Alleine aus dem Grund, dass der weiße Spieler den Ball mit einer derartigen Intensität in Richtung eigenes Tor klären will, zwingt mich dazu ihm Vorsatz zu unterstellen, ergo :rote_karte:.


    Worauf ich aber eigentlich hinaus möchte: Betrachten wir nur die Situation unabhängig von der Feldposition. Spieler A fällt vor den geraden schießenden Spieler B, woraufhin dieser Spieler A mit voller Wucht im Gesicht abschießt.

  • Und gegen welche Regel verstößt ein Stürmer, der regelgerecht den frei zu spielenden Ball schießt? Zwar dem Torhüter ins Gesicht, aber dass ist für mich auch das Risiko des Torwartes.

    Im durchschnittlichen Kreisligaspiel kann man davon ausgehen, dass keine Absicht über eine Distanz von mehr als 5m vorliegt, einfach weil dafür das Ziel nicht ausreicht.:ironie:


    Regeltechnisch könnte man argumentieren, dass es sich um ein grobes Foulspiel handelt


    Tacklings oder Angriffe, die die Gesundheit des Gegners gefährden oder übermässig hart oder brutal ausgeführt werden, sind als grobes Foul zu ahnden.


    Ich bin damit aber nicht wirklich zufrieden, denn ein fußballtypischer Schuss, ist ja kein Tackling, wenn dann ein Angriff, aber der gefährdet normalerweise nicht die Gesundheit des Gegners. Zumindest nicht in fußballuntypischem Ausmaß. Eine Tätlichkeit kann ebenfalls nicht vorliegen, da es sich bei der Situation ja um einen Kampf um den Ball handelt.

    Sofern der Stürmer klar früher am Ball ist und er den Torwart nicht mit erkennbarem Vorsatz abschießt, ist es das Berufsrisiko aller Teilnehmer am Fußballplatz von einem heftigen Schuss getroffen zu werden. Ich sehe für den Spieler rein regeltechnisch keinen Grund zurückzuziehen. Moralisch gesehen sieht die Sache natürlich anders aus.

  • Nochmal, wir reden nicht über eine unglückliche Situation, bei der der Stürmer den Kopf des TW im Eifer des Gefechts nicht wahrgenommen hat und durchaus die Chance eines Torerfolgs vorlag.


    Auch beim Eckstoß und Freistoß ist das absichtliche Abschießen nur erlaubt, wenn der Ball nicht fahrlässig, rücksichtslos oder übermäßig hart getreten wurde.


    Wenn ich daher aufgrund meiner Wahrnehmung absolut davon überzeugt bin, dass der Ball eindeutig nur als Hilfsmittel für eine Tätlichkeit benutzt wird, dann wird das Spiel unterbrochen und gemäß 12.3 der Täter des Feldes verwiesen.


    Die Spielfortsetzung ist knifflig:


    Entweder dF nach 12.1:

    Ein Vergehen mit Körperkontakt wird mit einem direkten Freistoss geahndet.“


    oder idF nach 12.2:

    „ein anderes Vergehen begeht, das nicht in den Spielregeln erwähnt wird und für das das Spiel unterbrochen wird, damit der fehlbare Spieler verwarnt oder des Feldes verwiesen werden kann.“


    12.1 ist mein Favorit, denn der Ball gilt als „verlängerter Fuß“, sodass „Treten“ vorliegt.


    12.2 hat auch seine Berechtigung, da in 12.4 für „Treten des Spielballes auf dem Feld gegen einen gegnerischen Spieler“ keine Spielfortsetzung definiert ist.

  • Entweder dF nach 12.1:

    „Ein Vergehen mit Körperkontakt wird mit einem direkten Freistoss geahndet.“


    oder idF nach 12.2:

    „ein anderes Vergehen begeht, das nicht in den Spielregeln erwähnt wird und für das das Spiel unterbrochen wird, damit der fehlbare Spieler verwarnt oder des Feldes verwiesen werden kann.“

    Ich würde ebenfalls zum dF tendieren, da es sich um ein physisches Vergehen handelt und dazu im Gegensatz verbale Vergehen (Beleidigungen etc.) mit idF geahndet werden.

  • Wenn ich ein Zwischenfazit ziehe, gibt es im Kern drei Positionen:


    1. Erlaubt, es gibt keine Pflicht, einen Ball, der (zumindest im Moment des Kontaktes) regelkonform spielbar ist, nicht zu spielen.

    2. Gefährliches Spiel

    3. Verbotenes Spiel, obwohl kein Kontakt, da Tätlichkeit.


    Habe ich noch etwas übersehen?


    Wobei ich feststelle: Eine einheitliche Lösung haben wir nicht.