Wie die zeitliche Wahrnehmung und Situationsbewertung manchmal auseinanderliegt

  • Hatte gestern Abend eine Sportgerichtsverhandlung die nur wegen eines Widerspruchs gegen eine im schriftlichem Verfahren auferlegte Strafe einberufen wurde.


    Der Verhandlungsgegenstand an sich ist schnell erklärt, wird von allen Parteien auch nicht bestritten und vom beschuldigtem Spieler im Verfahren auch genau so bestätigt.

    Zitat

    Nach einer Rudelbildung (unterbrochenes Spiel), die sich bereits wieder in der Auflösung befindet bleiben 2 Spieler zurück, die sich unmittelbar gegenüberstehen. [Spieler Rot] schubst mit beiden Händen [Spieler Blau] gegen die Brust, worauf [Spieler Blau] rückwärts auf den Allerwertesten fällt.

    Interessant hierbei ist, das die Partei Rot anführt, das die im schriftlichem Verfahren auferlegte Sperre von 3 Spielen zu hart ausfällt, weil das Sportgericht die Vorgeschichte nicht ausreichend gewürdigt hätte.

    Diese Vorgeschichte findet selbstverständlich auch im SB die notwendige Erwähnung ich schildere sie aber hier einmal aus der SR-Sicht mit meinen Interpretationen der Situation.


    Etwa Mitte der 2. HZ bei unentschiedenem Spielstand kommt der Angreifer [Spieler Rot] bei einem Zweikampf etwa 25-30m vor dem Tor in halbrechter Position zu Fall.
    Ich erkenne Foulspiel und entscheide mich dafür die Situation weiter zu beobachten weil eine Vorteilssituation entstehen könnte.


    Als ich erkenne, das [Spieler Blau] offenbar den Ball erreichen wird und kein Vorteil eintreten wird entscheide ich mich für den "verzögerten Pfiff".
    Im Moment des Pfiffs (oder villeicht auch nur Sekundebruchteile danach) pikt [Spieler Blau] den Ball mit Wucht aus der Gefahrenzone. Dabei trifft der Ball den [Spieler Rot] etwa in Hüfthöhe an der Seite.

    Meine Situationsbewertung: Zum Zeitpunkt der Ballberührung durch [Spieler Blau] durfte dieser davon ausgehen, das das Spiel nicht unterbrochen war weil der Pfiff unmittelbar mit der Ballberührung kam. Deshalb lag für mich weder ein Ball wegschlagen noch ein absichtliches Anschiessen eines Gegenspielers vor sondern ein "Fussballtypischer Befreiungsschlag".


    Dies bewerteten die [Spieler Rot] naturgemäß etwas anders und hatten Diskussionsbedarf mit dem [Spieler Blau]. Daher auch die Rudelbildung. Hier wurde dem [Spieler Blau] sowohl das wegschlagen des Balls als auch das absichtliche Anschiessen vorgeworfen.
    Leider verlor ich beide Spieler im Rudel aus den Augen, da sich die Rudelbildung genau vor der tiefstehenden Sonne abspielte. Somit war mir auch nicht bewusst, das in der eingangs beschriebenen Situation die zum FaD [Spieler Rot] führte, letzten endes der zuerst gefoulte und dann durch den Ball getroffene [Spieler Rot] und der "Befreiungsschlag" [Spieler Blau] gegenüber standen. Dies räumte ich auch in der müdlichen Verhandlung ein und bestätigte damit indirekt die Einlassungen der beiden übereinstimmenden Aussagen der Kontrahenden.


    Besonders zu erwähnen ist, das Team Rot in der Nachbetrachtung der Situation in der Verhandlung dem [Spieler Blau] keinerlei Vorwürfe mehr wegen irgendwelcher Unsportlichkeiten machte (Ball wegschlagen, absichtlies Anschiessen) sondern [Zitat] "...aus der zeitlichen Distanz in Ruhe Beurteilt es sich um eine ´Fussballtypische Aktion´ eines laufenden Spieles gehandelt hat ..." [Zitat Ende].
    Ich möchte hinzufügen, das alle Beteilligten vor der Verhandlung noch in entspannter und freundliche Athmosphäre eine zeitlang zusammen saßen (es gab mal wieder Verzögerungen beim Sportgericht wegen der Verhandlungen vorher) und die Situation diskutiereten. Dabei gab es von keiner Seite irgendwelche Vorwürfe gegen irgendjemanden. Die Situation wirkte nahezu wie eine Diskussion unter Freunden mit gleicher Meinung.


    Das Ende vom Lied:


    Das Sportgericht bestätigte das im schriftlichem Verfahren bereits getroffene Urteil.


    Begründung:
    Mit 3 Spielen Sperre liegt die Sportgerichtsbarkeit an der unteren Grenze für einen FaD bei einer [Zitat] Tätlichkeit in einem minderschwerem Falll [Zitat Ende]
    Das Sportgericht zeigte zwar Verständniss für mögliche Emotionen in einer derartigen Spielsituation, machte aber darauf aufmerksam, daß die Ahndung von Unsportlichkeiten auf dem Feld einzig dem SR und dessen Situationsbewertung zusteht und das Schubsen eines Spielers durch nichts gerechtfertigt werden kann.

  • Eine sehr interessante Verhandlung meines Erachtens nach. Schön auch mal zu hören, dass solche Verhandlungen freundlich ablaufen können. Ich kenne es meist nur mit ziemlichen Widersprüchen (bzw. Schilderung ganz unterschiedlicher Ansichten / Tatvorgängen).


    Die drei Spiele Sperre sind sicherlich aus den Sichtweisen der beiden Mannschaften übertrieben. Wenn aber euer Verband bei minderschweren Fällen, wie diese Situation auch eingeschätzt wurde, an dieser "Mindeststrafe" festhält, kann da nichts dran geändert werden und dem entsprechend muss man das Urteil so akzeptieren.


    Ist schließlich wie im alltäglichen Leben: Wenn die Verfassung vorsieht, eine Straftat mit einer Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu 10 Jahren zu bestrafen, kann der Richter nicht hingehen und eine Freiheitsstrafe von 6 Monaten oder 15 Jahren aussprechen. Das ist so festgelegt und irgendwo müssen solche Grenzen definiert sein.


    Der Spieler soll sich die nächsten drei Spiele von der Tribüne ansehen, über sein Verhalten nachdenken und dann wird es sicherlich nicht noch einmal zu solch einem Vorfall kommen.