"Sense" ohne Treffer

  • Eine zweite Situation aus meinem gestrigen Spiel beschäftigt mich noch:
    Ein Spieler zieht sein Bein kreisförmig mit hoher Intensität und Geschwindigkeit im Zweikampf durch. Er hat Pech - oder besser Glück - dass der Gegner schneller ist und seine Aktion ins Leere läuft. Dennoch ist der Pfiff klar, für mich auch ein zweifelsfrei direkter Freistoß (war nach meiner Auffassung klares versuchtes Treten), aber dann: Gelb oder Rot? Wäre es zum Treffer gekommen, gäbe es da keine Frage, das muss dann Rot sein - aber so? Rücksichtslos war es allemal, daher habe ich mich spontan für Gelb entschieden, im Nachgang hadere ich aber mit mir, weil das eigentlich mehr als rücksichtslos war, die Beschreibung rohes Spiel zutreffender wäre und ich wohl besser Rot gezogen hätte ... - oder?

  • Die Fragestellung "hat er den Gegner getroffen oder hat er ihn nicht getroffen" ist irrelevant. Der SR muss systematisch denken.


    Schritt 1: "einen Gegner tritt oder versucht, ihn zu treten". Zutreffend -> Foulspiel, direkter Freistoß.


    Schritt 2: "wie wurde das Foulspiel begangen" -> fahrlässig oder rücksichtslos oder übertriebene Härte? Daraus folgt die persönliche Strafe.


    Gruß Jörg


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    "Jetzt wechselt Jamaika den Torhüter aus!"
    (Gerd Rubenbauer, als der FIFA-Beauftragte am Spielfeldrand eine Minute Nachspielzeit anzeigte)

    Einmal editiert, zuletzt von Altschiri ()

  • Kommt man als SR zur Erkenntnis, dass es sich um einen Tritt handelt, ist meiner Meinung nach der Feldverweis zwingend, dazu zählt natürlich auch der Versuch.

    'Dann würden einigen Stammtischen die Themen ausgehen.' (Hoffenheims Verteidiger Christian Eichner über die Folgen einer Einführung des TV-Beweises)

  • Genauso sehe ich das auch. Da ist schon der Versuch strafbar und es kann nur :rote_karte: geben.

    Alle sagten das geht nicht.




    Und dann kam einer und hat es gemacht.

  • Genau das ist doch mein Problem - ist ein Versuch, den ich grundsätzlich bejahen würde, auch dann noch als Versuch zu werten, wenn ob der Spielentwicklung schon gar keine Chance auf einen Treffer mehr bestand? Bei der Spielfortsetzung sehe ich da kein Problem, allein deswegen, weil da ein Zeichen zu setzen war. Aber ist es wirklich noch brutales Spiel - oder eben "nur" (noch) rücksichtslos?

  • Bei versuchten Attacken wäre ich sehr vorsichtig. Nur bei 100% Sicherheit dass der Angriff dem Mann und nicht dem Ball galt würde ich das pfeifen, Konsequenz ist dann auch Rot. Aber eine bloße wilde, aber kontaktlose Grätsche würde ich, wenn ich es ahnden muss, als gefährliches gefährliches Spiel, also Gelb+idF, ahnden.

  • Die Art und Weise der Attacke ließ eine Interpretation als gefährliches Spiel nicht zu - wenn der trifft, haben wir sehr wahrscheinlich den Rettungswagen vor Ort. Aber gerade der Umstand, dass er nicht nur geringfügig zu spät kam, generiert ja meine Zweifel. Gelb war meine erste Intuition, Rot mein Gedanke auf dem Weg, da es aber für den Spieler Gelb-Rot war, habe ich den Denkprozess auf nach dem Spiel verschoben, gerade um die Entscheidung glaubhaft an den Mann zu bringen (übrigens waren sowohl Heim als auch Gast einverstanden).

  • Bei versuchten Attacken wäre ich sehr vorsichtig. Nur bei 100% Sicherheit dass der Angriff dem Mann und nicht dem Ball galt würde ich das pfeifen, Konsequenz ist dann auch Rot. Aber eine bloße wilde, aber kontaktlose Grätsche würde ich, wenn ich es ahnden muss, als gefährliches gefährliches Spiel, also Gelb+idF, ahnden.


    Versuchtes Treten oder Beinstellen ist übrigens direkter Freistoß. Je nach Situation kommt das vielleicht eher in Betracht als nur gefährliches Spiel.

  • Das Ding ist: Beim Treten (oder Beinstellen) zählt ob faktisch getroffen wurde, beim versuchten Treten die Absicht. Wenn ich eine üble Grätsche starte, die aber dem Ball gilt, und es zu keinem Kontakt kommt, kann es weder Treten (mangels Treffer) noch versuchtes Treten (mangels Trittabsicht) sein. Und wenn jemand bewusst versucht jemanden umzutreten, ist das mit Ausnahme vielleicht eines taktisches Beinstellens immer Rot. Das gefährliche Spiel mit Verletzungsgefahr kann ich aber immer pfeifen.


    So hab ich die Abstufungen gefährliches Spiel ohne GK, dito mit GK sowie versuchtes Treten mit RK um das ganze Spektrum an kontaktlosen Vergehen abzudecken.

  • Das verstehe ich nicht ganz. Warum kann eine Grätsche kein (versuchtes) Beinstellen sein? In welche Kategorie fällt eine Grätsche überhaupt in Regel 12, wenn nicht unter Beinstellen oder gelegentlich treten?

  • Weil der Vorsatz fehlt.


    Man kann jemanden fahrlässig treten oder jemandem fahrlässig ein Bein stellen.


    Man kann aber nicht "fahrlässig etwas versuchen". Dazu braucht es immer Vorsatz.
    Und das ist ja das Problem was Nummer4 beschreibt:


    Ohne Kontakt kann man so gut wie nie "nachweisen" ob die Grätsche dem Ball oder dem Gegner gegolten hat.
    Wenn sie gegen den Ball gerichtet war kann es kein versuchtes Treten oder Beinstellen gewesen sein, da das höchsten fahrlässig mit in Kauf genommen wurde.
    Also war es versuchtes Ball weggrätschen, was ja erlaubt ist ;)


    Zumindest wenn man sich mit den Begriffen an unserem Recht orientieren möchte:
    "Eine versuchte Straftat begeht, wer gemäß seiner Vorstellung von der Tat unmittelbar zur Verwirklichung des Tatbestands ansetzt. Folglich gibt es den Versuch nur bei vorsätzlichen Taten, ein fahrlässiger Versuch ist nicht möglich."
    http://www.rechtslexikon.net/d/versuch/versuch.htm


    Man müsste also feststellen, dass der "Grätscher" es allein auf seinen Gegner abgesehen hat, was ziemlich schwierig sein dürfte.
    Somit bleibt nur das gefährliche Spiel, dazu brauchts kein Vorsatz.

    Bin kein Schiedsrichter, nur ein Spieler Trainer (wieder) Spieler der sich für die Regeln seines Sports interessiert :D

  • Es gibt doch ein paar Indizien, die einem bei der Beurteilung einer solchen Situation helfen.


    Von wo kommt das Tackling ? Kann der ballführende Spieler das Tackling erahnen und sich darauf einstellen ? Oder kommt es von hinten ? Ist der Ball spielbar ? Oder schon 3 Meter entfernt ? Wie wird das Tackling ausgeführt ? Findet die Aktion am Boden statt ? Oder wird unkontrollierbar eingesprungen ? Sohle voran ? Oder soll der Ball mit Innenseite / Rist kontrolliert getroffen werden ?

  • Um auf den konkreten Fall zu kommen:
    Wenn der Spieler den Ball getroffen hätte, wäre das sicher nur ein (erwünschter) Nebeneffekt gewesen, wirklich kontrollierbar im Sinne der ausschließlichen Zielrichtung der Balleroberung war das definitiv nicht. Aber es war am Boden (man konnte im Kunstrasen eine Art Halbkreis sehen) und schon so, dass der ballführende Spieler erahnen konnte, was da auf ihn zukommt - nicht umsonst kam es zu keinem Treffer, allerdings auch nicht so wirklich eindeutig (Abstand unter/bis 50 cm).