Über Kommunikation auf dem Fussballplatz

  • Einen m.E. nach super geschriebenen Artikel unter der Rubrik "Pfiff der Woche" der A.Z. befasst sich mit der Ermahnung von Boateng durch Gagelmann im Spiel Schalke gegen Mainz - aber nicht nur damit.


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    Ich finde den Artikel deshalb so toll, weil er viel wahres beschreibt und ein Thema anschneidet, dass in den unteren Klassen wenig bis gar nicht geschult wird - Kommunikation, Körpersprache und Umgang mit den Spielern. Der Grund liegt m.E. nach darin, dass die Ausbildung in diesen Bereichen in der Theorie nur bedingt möglich ist - vieles kann man nur durch "Erfahrung" lernen. Je höher man als SR kommt, umso intensiver werden auch diese Bereiche geschult - auch weil die Aus- und Fortbildungszeiten wesentlich höher sind.


    Eine Kernaussage kann ich bestätigen: Ein SR, der die Kunst der Kommunikation beherrscht, leitet in der Regel ein Spiel ohne größere Probleme - auch wenn er Fehlentscheidungen trifft. Vielleicht sollten wir beim nächsten Spiel beim Beobachten des "alten Kreisligaschiri, der einen Bewegungsradius im Mittelkreis und einen Regelstand von vor 20 Jahren hat" mal darauf achten, warum dieser bei den ganzen Fehlern, die er macht das Spiel dennoch "leitet". Statt sich über die Fehler aufzuregen oder abfällig über diese Kameraden zu denken, zu reden oder im Forum zu schreiben, könnte man in diesem Bereich eventuell etwas lernen. ;)

  • Dazu passend auch noch ein Kommentar von "11Freunde", worüber ich mich heut´köstlich amüsiert habe :)


    Zitat

    Allein beim Gedanken daran, jemanden wie Boateng auch nur ein wenig zu laut anzusprechen, bekommen wir nervöse Pusteln unterhalb der Streberbrillen. Gagelmann aber, der eher aussieht wie der Vorsitzende des örtlichen Kleingärtner-Vereins, scheute sich nicht, Boateng, der eher aussieht wie der Vorsitzende des örtlichen Motorradclub-Chapters, zu zeigen, wer der Boss auf dem Spielfeld ist. Respekt.

    Ewald Lienen (Ehem. Trainer 1.FC Köln):
    Wir haben nicht das Recht, jede Entscheidung des Schiedsrichters zu kommentieren. Der lacht sich ja auch nicht tot, wenn wir einen Fehlpass spielen.

  • Wenn ich gewissen Mitspielern, oftmals mit Migrationshintergrund, nach einer Entscheidung gegen sie und folgender Meckerei bei der Ermahnung zeige "wer der Boss ist" wird das Spiel und meine Zähne abgebrochen...

  • Dann ist bei deiner Kommunikation und bei deinem Auftreten wohl etwas schief gegangen....


    Ich stimme dem Artikel voll zu und weiß, dass ich meine Kommunikationsfähigkeiten noch ausbauen muss. Bisher reichen sie aber in der Regel für meine Spiele, auch wenn ich mal den Chef raushängen lassen muss.

  • Auch an meiner Kommunikationsfähigkeit gibt es sicher noch was auszubauen, das ist mir auch klar, aber ich weiß dass man bei unterschiedlichen Spielern eben unterschiedlich rangehen muss - und sobald sich gewisse Spieler "in ihrer Ehre gekränkt" fühlen, versuchen sie das durch Aggressionen auszugleichen.


    Man kann einen Bundesligaspieler nicht mit einem Betonligaspieler vergleichen, dann gibts da noch so viele unterschiedliche Spielertypen und je nach Alter muss man auch nochmal unterschiedlich ran. Ich sage nicht dass man nicht gewissen Spielern zeigen kann "wer Chef ist" - das geht ganz gut und wenn das klappt hat man Ruhe. Aber es geht nicht bei allen.

  • Man kann hier keine Erfolgsrezept geben. Das ist von Spiel zu Spiel und von Spieler zu Spieler verschieden. Diese wunderbare Gabe kommt mit der Zeit. Sowas kann aber auch keiner einem beibringen.

  • Ich denke, man hat verschiedene Charaktere - unabhängig von der Spielklasse. Deshalb kann m.E. nach sehr wohl einen Kreisligaspieler mit einem Bundesligaspieler vergleichen. Wenn dem nicht so wäre, wären Kopfstöße von Weltklassespielern, Rudelbildungen, SR-Beleidigungen usw. in höheren Spielklassen nicht zu sehen.


    Du hast völlig Recht, Matze, Erfahrung ist der beste Lehrer. Allerdings glaube ich schon, dass man hier auch sehr viel durch die Erfahrung anderer lernen kann - durch Gespräche und Beobachten. Es gibt auch Seminare (teilweise in Verbänden, aber auch von privaten Anbietern wie Volkshochschulen usw.), die gute -sofort umsetzbare- Dinge lehren.

  • Also was die Kommunikation auf dem Fußballplatz angeht ist der Profibereich nicht mit dem Amateurbereich vergleichbar. Einem Boateng mit seinem 30-Mann-Clan an der Seitenlinie eines Kreisligaspiels in einem Problemviertel einer Großstadt kann auch ein Herr Gagelmann nicht gefahrlos zeigen "wer der Boss ist". Da hat Boateng im Problemviertel nämlich das Problem, dass er komplett sein Gesicht (Ansehen) verliert, wenn er sich das vor allen Leuten ohne Reaktion sagen lässt. Er/ sein Clan muss da zwingend handeln- sonst machen die sich wochenlang zum Gespött der halben Stadt.


    Einem 18jährigen Jungschiedsrichter würde ich in einem Kreisliga-Herrenspiel auch nicht empfehlen, die "Boss-Frage" zu stellen. Man kann auch ohne "Boss-sein" sein Handeln transparent machen und Konsequenzen aufzeigen. Da kann man dem Spieler auch leise sagen, dass man keine andere Wahl hat bei der nächsten Aktion so und so zu reagieren und das auch glaubhaft zu übermitteln. Da kann sich der Spieler dann selbst aussuchen, ob er den Hinweis eines Jungschiedsrichters annimmt oder eben bei der nächsten Aktion des Feldes verwiesen wird.


    Letztendlich ist es die Verantwortung des Spielers was er tut. Der Kontext "Gagelmann hat Boateng vor einem Platzverweis bewahrt" gefällt mir gar nicht. Letztendlich hat es Boateng selbst getan, weil er nach der Ansprache Gagelmanns glauben musste, er würde bei weiteren Verfehlungen des Feldes verwiesen. Diesen Effekt kann ich auch ohne "Ich bin der Boss" - Allüren erreichen. Und im Problemviertel muss ich das sogar.

  • Ich würde das eh nicht so pauschalisieren. Gagelmann hat in dem Fall die richtige Ansprache im richtigen Moment gefunden und Erfolg gehabt. Aber selbst in der Bundesliga gibt es Schiedsrichter, die sich regelmäßig nur mit Roten Karten zu wehren wissen, weil sie die richtige Ansprache offenbar nicht finden.


    Und was "kleine Kopien" von Bundesliga-SRn in der Kreisliga angeht, ist das zumindest in Berlin schon eines der Probleme - die verstehen nicht, dass ein Cristiano Ronaldo das hinnimmt, wenn er ein ganzes Spiel über von einem Verteidiger gehalten, getreten, geschlagen und gekratzt wird, weil er dementsprechend gut bezahlt wird. Lässt man so etwas einem Verteidiger in den unteren Klassen oder gar im Jugendbereich durchgehen, muss man sich nicht wundern wenn der Stürmer irgendwann richtig austickt oder Eltern das Feld stürmen. Genauso ist das eben keine gute Idee den Gangstah-Boss des Viertels vor seinem Clan anzupflaumen. Aber auch in den unteren Ligen gibt es kleine Nervensägen, bei denen man mit einem "Hör jetzt auf mit dem Mist, sonst fliegst du raus" oder "Halt jetzt endlich deine Klappe" mehr erreicht, weil sich in dem Fall die anderen 10 aus seiner Mannschaft eins grinsen, während sich genau dieselben Spieler mit dem solidarisieren, wenn er sich einen Platzverweis einfängt.

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.

  • Und genau das unterscheidet den gutem vom sehr guten Schiedsrichter. Für jeden Spieler die richtige Ansprache zu finden ist eben die große Kunst. Manchmal bringen eben drei Worte mehr als eine Karte, manchmal aber eben auch nicht.

    Gott sei Dank habt ihr Schiedsrichter, sonst müsstet ihr eure Fehler ja bei euch suchen !

  • Die Erkenntnis, wie ich mit unterschiedlichen Spielern kommunizieren muss, kommt mit der Erfahrung. Gerade beim Thema "Kommunikation und Außendarstellung" muss jeder SR seine eigene Linie finden. Wenn Timey z.B. in einem Herrenspiel auch nur 5 Minuten mit den Spielern so kommunizieren würde wie ich, dann würden sie ihn wahrscheinlich teeren und federn. Das hängt auch mit dem Alter zusammen. Ich kann mir durchaus mal einen Spruch gegenüber einem gestandenen Spieler erlauben, bei jüngeren Kollegen wirkt sowas oftmals deplatziert und schnell hat man den Ruf arrogant zu sein.
    Wichtig ist aber, dass man als SR authentisch bleibt und nicht versucht eine Rolle zu spielen, oder einem Idol nachzueifern. Wenn ich jetzt z.B. meine Art der Kommunikation völlig umkrempeln würde, und nur noch mit ernstem Blick aufs Spielgeschehen schauen und nur das nötigste sprechen würde, dann würde ich eine Rolle spielen in der ich mich unwohl fühlen würde, was wahrscheinlich auch Einfluss auf das Spiel hätte.


    Es ist richtig das der SR durch falsche und unangebrachte Kommunikation und Außendarstellung einen negativen Einfluss auf das Spielgeschehen nehmen kann, ebenso ist es allerdings richtig, dass man mit verbaler Kommunikation und auch einem lächeln viel Druck vom Kessel nehmen kann.


    Wichtig ist nur, dass der Respekt vor der Person des Spielers nicht verloren geht. Leider fehlt hierfür vielen Kollegen die "Antenne".

    :hsv1: IN DUBIO PRO RAUTE! :hsv1:


    25.05.1983 - Die Helden von Athen:


    Uli Stein - Bernd Wehmeyer, Holger Hieronymus, Dietmar Jakobs, Manfred Kaltz - Wolfgang Rolff, Jürgen Groh, Felix Magath, Jürgen Milewski - Horst Hrubesch, Lars Bastrup (ab 61. Min. Thomas von Heesen)


    Trainer: Ernst Happel



    Nicht selten sind wir nach dem Spiel so richtig deprimiert,
    wir freuen uns schon wenn unser Team zumindest nicht verliert.
    Es ist schwer - wir sind Fans vom HSV!