Handspiel - Eine Leidensgeschichte...

  • Ja, wir sind wohl wieder bei dem strittigsten Thema der letzten Zeit angelangt - dem Handspiel...


    Gleich vorweg: Von den Handspiel-Situationen, die heute Abend in der Sportschau gezeigt wurde, hätte ich genau eine abgepfiffen - die, bei dem der Herthaner im Strafraum mit der Hand aktiv zum Ball geht. Bei allen anderen diskutablen Situationen mit irgendwelchen "Pseudo-Körperflächen-Vergrößerungen" Absicht unterstellen zu wollen, wäre lächerlich und kann nicht dem Geist des Fußballregelwerks entsprechen.


    Leider musste ich in einem meiner Spiele in den letzten Tage wieder traurige Erfahrungen machen. Spieler, Zuschauer und Trainer haben wirklich kein blasse Ahnung mehr vom Regelwerk ("Schiri, "angeschossen" wurde abgeschafft!"), aber auch wir Schiedsrichter wissen wohl manchmal nicht mehr, was wir pfeifen sollen.


    Ich möchte nun eine Szene aus meinem Spiel beschreiben, die sich so bei mir abgespielt hat und aus der nach vermeintlichem Handspiel ein Tor gefallen ist. Anschließend brauche ich noch eine Antwort auf eine generelle Frage.


    Zu der Situation:


    Stürmer von Rot im Strafraum etwa auf Höhe des Elfmeterpunkts. Der Stürmer hat den Ball, möchte abschließen, hebt dabei in der Schussbewegung den linken Arm - wie ein Mädchen (ums mal einfach zu beschreiben) - nach oben, so dass dieser etwa 90 Grad angewinkelt ist, der Schuss wird jedoch abgegrätscht, springt aber aus 2-3m Distanz wieder von einem Gegner, der den abgegrätschen Ball abbekommen hat, gegen den Arm des Stürmers. Dieser nimmt ihn so quasi unabsichtlich an (keine Bewegung zum Ball!) und schließt ab: Tor!


    Für mich ist das in dem Sekundenbruchteil kein absichtliches Handspiel gewesen. Sowohl Distanz als auch die natürliche Handhaltung sprechen für den Stümer. Aber! Und jetzt kommen wir zur allgemeinen Frage...


    .. Wie ist das mit dem Kriterium "Vorteil verschaffen"?


    Hier verschafft der Spieler sich ja so gesehen - auch wenn ungewollt - einen Vorteil. Was gilt da? Kann "Vorteil verschaffen" in Verbindung mit einem unabsichtlichen Handspiel zum Pfiff führen (z.B. obwohl eigentlich natürliche Handhaltung) oder gilt per sé, dass Handspiele, aus denen man sich - auch wenn ungewollt - einen Vorteil verschafft, strafbare Handspiele sind?


    Brauche da mal einige Meinungen...

  • Bei Handspiel auf Absicht oder nicht zu entscheiden ist gerade bei den Grenzsituationen fast unmöglich ohne es selbst gesehen zu haben.

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.

  • Zu dem ersten Teil gebe ich dir Recht. Auch mir wird in letzter Zeit viel zu häufig auf absichtliches Handspiel entschieden. Das scheint aber wohl von oben so gewünscht zu sein.


    "Einen Vorteil haben" - ich habe jetzt bewusst das Wort "verschaffen" ersetzt, denn "verschaffen" impliziert doch eine gewollte Aktion des Spielers - ist allerdings kein Kriterium für absichtliches Handspiel. Wir haben die bekannten Kriterien (Armhaltung, Entfernung) abzuwägen und nicht die Folge des Handspiels.

    In einer Aktion prallten Grevelhörster und Gerick zusammen. Der FC-Stürmer blutete aus der Nase, aber Schiedsrichter Stefan Tendyck aus Gelsenkirchen konnte mit einem Taschentuch aushelfen. Gericks Torriecher wurde nicht in Mitleidenschaft gezogen: Er markierte das 1:3.


    Westfalen-Blatt (29.5.2017) :D

  • Da muss man eben die Eier in der Hose haben und auf Weiterspielen entscheiden (gilt metaphorisch auch für Schiedsrichterinnen). Die einfache Entscheidung ist in so einer Situation auf Handspiel zu entscheiden, aber aus meiner Sicht die einzig richtige Entscheidung ist eben kein absichtliches Handspiel - und wenn der Angreifer Glück hat und der unabsichtliche Abpraller von seiner Hand zu einem Tor führt dann ist es so. Wenn es im Mittelfeld kein Handspiel ist dann ist es auch vor dem Tor kein Handspiel und für meckernde Gegenspieler hab ich meinen gelben Karton dabei...

  • "Einen Vorteil haben" - ich habe jetzt bewusst das Wort "verschaffen" ersetzt, denn "verschaffen" impliziert doch eine gewollte Aktion des Spielers - ist allerdings kein Kriterium für absichtliches Handspiel. Wir haben die bekannten Kriterien (Armhaltung, Entfernung) abzuwägen und nicht die Folge des Handspiels.

    Alles klar! Danke dir für die Klarstellung, Stefan. Dass "einen Vorteil haben" ("Verschaffen" war natürlich das falsche Wort) kein Kriterium zur Bewertung eines Handspiels ist, das habe ich mir eigentlich gedacht. War mir nur unsicher, ob da nicht seitens des DFB wieder irgendwelche Entscheidungs"hilfen" in Umlauf gebracht wurden.


    Die einfache Entscheidung ist in so einer Situation auf Handspiel zu entscheiden,

    Und auch das ist einer der Gründe, weshalb wir das Theater haben. Die einfache Entscheidung ist da Handspiel und die meisten SR auf unserer Ebene pfeifen das wahrscheinlich auch, ohne wenigstens kurz abzuwägen, ob die Handhaltung jetzt z.B. zur Körperbewegung gehörte oder nicht. Zusätzlich sehen die Zuschauer dann die fatalen Handspielentscheidungen in der Bundesliga. Wenn ich dann so ein Ding, bei dem der linke Arm 90 Grad angewinkelt die Körperfläche zwar vergrößert, aber eben absolut NATÜRLICH in der Bewegung, vollkommen regelkonform - weiterlaufen lasse, geht für die natürlich die Welt unter und man hört Dinge wie "Angeschossen gibt es nicht mehr!" und "Jede Vergrößerung der Körperfläche ist Hand, Schiri!". Nun ja...


    Interessant war, dass sich das so ähnlich auf der anderen Seite auch abgespielt hat: Spieler bereitet sich darauf vor, eine Flanke aus kurzer Distanz anzunehmen, nimmt beim leichten Sprung nach oben eben die Arme etwas mit, der Ball springt an den Oberarm - zwei Pässe, Tor, für mich gültig. Auch hier ging weder eine Hand / ein Arm zum Ball, noch ist das für mich eine unnatürliche Handhaltung. Würden die das da oben aber nur halbwegs so bewerten, fielen die Hälfte aller Handspielentscheidungen weg.

  • Eigentlich beweist mir die Frage vor allem eines: Es bedarf einer Vereinfachung, wenigstens aber Klarstellung der Regeln. Aus der Nummer, dass wir SR hier Entscheidungen treffen müssen, kommen wir nicht heraus. Von daher müssen wir auch nicht unbedingt Angst vor einer Regel haben, welche uns genau so etwas auferlegt.


    Ein Beispiel:
    Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler
    * mit der Hand zum Ball geht oder
    * aus einem unabsichtlichen Handkontakt einen Vorteil für sich oder seine Mannschaft generiert.
    Nicht zu ahnden sind dabei Handkontakte, die
    * aus einem natürlichen Bewegungsablauf folgen,
    * aus kurzer Distanz erfolgen, wenn die Hand angeschossen wurde oder
    * dem Schutz des Körpers dienen, soweit damit die Körperfläche nicht vergrößert wird.


    Natürlich noch immer Interpretationsspielraum, aber wenigstens klare Ansagen.

  • Ich wünschte, das stände so oder wenigstens so ähnlich formuliert in unserem geschätzten Regelwerk. Man geniert sich beim DFB wahrscheinlich aus dem Grund vor einer solchen wie der von dir angesprochenen Klarstellung, Manfred, weil die ganze Sache dann zu sehr vom internationalen Standard abweichen würde. Trotzdem kann es so eigentlich nicht weitergehen. Mir kann niemand erzählen, dass das Regelwerk und die zusätzlichen Erläuterungen (Stichwort: unnatürliche Handhaltung -> Vergrößerung der Körperfläche), die man im Übrigen nicht mal im Regelwerk wiederfindet, eine eindeutige Entscheidungsfindung zulassen würden.

  • Da die Bearbeitungsfunktion schon wieder abgelaufen ist, eine Frage noch so als Nachschub:


    Wie verhält sich das mit der Sache "ein Handspiel fahrlässig in Kauf nehmen"? Ist auch kein wirkliches Kriterium zur Handspiel-Bewertung oder?

  • Zur generellen Frage: Ein Handspiel wird nur bei Absicht bestraft. Ob der Spieler dadurch einen Vorteil hat, ist nicht entscheidend. Ich glaube in Rostock gab es in der 1.Liga (lang ist's her 8) ) sogar mal ein Tor, wo dem Stürmer an die Hand geschossen wurde und der Ball von dort ins Tor prallte.


    Wenn bei mir dann Spieler rummaulen und was von "Vergrößerung der Körperfläche" erzählen wollen, dann sage ich ihnen, dass bei einem Profi eine ganz andere Koordinationsfähigkeit vorausgesetzt wird, und daher bei "komischen" Armhaltungen viel eher Absicht unterstellt werden kann. Dann ist meistens Ruhe.

    Der Klügere gibt nach.


    Das erklärt, warum die Welt von den Dummen regiert wird.

  • Wie Ente schon sagt, es kann durchaus legal mit der Hand ein Tor erzielt werden.


    Zum Handspiel "fahrlässig in Kauf nehmen": An sich sind nur absichtlichen Handspiele strafbar, wir haben dabei diverse "Merkmale", an denen wir ein solches absichtliches Handspiel erkennen können sollen. Ein fahrlässig in Kauf genommenes Handspiel lässt sich anhand dieser fast immer als strafbares erkennen, zum Beispiel eben durch die unnatürliche Handhaltung und/oder durch die Vergrößerung der Körperfläche. Also sind solche Handspiele gem. aktueller Regel meist strafbar.


    Das Problem an der Regel ist, dass der SR im Moment gem. Regel in fast jeder strittigen Situation zwei richtige Entscheidungen hat. So, wie sich Deine Beschreibung beim Tor anhört, hast Du richtig entschieden - hätte der nächste SR das Handspiel aber abgepfiffen, hätte er dies wahrscheinlich auch problemlos mit der Regel begründen können (z.B. durch eine unnatürliche Handhaltung). Und eben das, nämlich dass sich die Spieler nicht mehr auf eine einheitliche / konsequente Linie verlassen können, weil jeder SR seine eigenen Interpretationen einfließen lässt, ist das große Problem.

  • Wenn in Deutschlands höchsten Spielklassen weiterhin solche Elfmeter ab 6:10: gepfiffen werden,werden die Diskussionen so schnell nicht abebben.

  • So sieht's aus. Da oben wird viel zu schnell gepfiffen.


    Dann trinkt der Günther nachmittags am Sportplatz sein Bierchen, sieht eine ähnliche Situation im Strafraum der gegnerischen Mannschaft und plötzlich vergeht ihm all seine Lust aufs Bier... weil der Schiedsrichter nicht auf den Punkt zeigt.

  • Dann trinkt der Günther nachmittags am Sportplatz sein Bierchen, sieht eine ähnliche Situation im Strafraum der gegnerischen Mannschaft und plötzlich vergeht ihm all seine Lust aufs Bier...

    Soll er es ruhig stehen lassen.Ich trink's dann nach dem Spiel aus (wenn's nicht schon zu schal ist). :P

  • Ich habe gestern mehrere Handspiele direkt vor meiner Nase einfach ignoriert und weiterspielen lassen. Ich vermute, dass BL-Schiris wenigstens 2 Freistöße gegeben hätten. Weder der anwesende Kreislehrwart noch irgendein Akteur verlor nach Abpfiff auch nur ein Wort darüber. Das wünsche ich mir auch in der Bundesliga.
    Meine bisher beste Handspiel-Entscheidungs-Faustregel: In dubio weiterspielen.

  • Soll er es ruhig stehen lassen.Ich trink's dann nach dem Spiel aus (wenn's nicht schon zu schal ist). :P


    Lass' den Günther das aber nicht seh'n! Erst keinen Elfer pfeifen und sich dann an seinem Bier vergreifen.. Gibt's doch nicht! :flieh:


    @BRiT: Tja, genau das erwarte ich von so manchem Bundesliga-Schiri. Aber wenn es tatsächlich so ist, wie Stefan sagt, dass da gepfiffen werden soll, was das Zeug hält, kann das nichts werden.

  • Und das ist eben die Krux an der ganzen Sache.Wenn ich mich recht erinnere,wurden solche Sachen schon gegen Mainz gepfiffen.Das sich Tuchel dann aufregt,ist doch nur verständlich.Vielleicht erleben wir am nächsten Spieltag wieder eine identische Situation und dann bläst der SR in seine Pfeife und gibt Elfmeter.Die nächsten Ausraster,um es mal drastisch auszudrücken,sind doch da schon wieder vorprogrammiert.